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Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus
Autoren: Paulus Hochgatterer
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Unfall komme, werde angezeigt und aus, da brauche es kein Gerede, egal, was bisher üblich gewesen sei. Lissoni war blond und solariumsbraun; er trug weiße Ralph-Lauren-Polo-Shirts und einen fetten Siegelring. Auf Klischees war Verlass.
    Der Vorplatz des Hauses war leer. Horn legte den Rückwärtsgang ein, indem er mehrmals auf die Kupplung trat. Das funktionierte seit einiger Zeit nur noch so. In der Werkstätte hatte man lapidar gesagt: Zwölf Jahre Bergstraßen, was wollen Sie? Er mochte den Volvo trotzdem, und nachdem er Irene zu ihrem Fünfundvierziger den kleinen Offroad-Suzuki geschenkt hatte, waren auch die Mäkeleien von ihrer Seite verstummt. Er manövrierte den Anhänger nahe an die Vorgartenbegrenzung heran, stieg aus und löste die Abdeckplane. Der Harzgeruch der Rindenmulchladung quoll ihm entgegen. Er atmete tief ein. Wie ein Mentholbonbon. Es ist Frühling, dachte er, die Luft ist frisch und ich habe einen Gegner besiegt.
    Er holte Rechen, Schaufel und Scheibtruhe aus dem Schuppen, räumte ein paar abgebrochene Zweige vom Rasen und begann den Mulch abzuladen. Er verteilte ihn unter der Johannisbeerhecke, unter den Rhododendren, zwischen den Loniceren, Rosen und Hortensien. Auch die beiden Glyzinen, die Irene so liebte und er gar nicht, kriegten was ab. Ich werde zum Gärtner, dachte er, ich verkomme zum Landmenschen. Ich schaufle Rindenmulch in eine Scheibtruhe, und es macht mir Spaß. Wenn mir das vor fünfzehn Jahren jemand gesagt hätte, hätte ich ihn für verrückt erklärt. Er dachte an echte Landmenschen, an Lisbeth Schalk zum Beispiel, und an die Wiesenblumensträuße, die sie regelmäßig auf die Station schleppte, manche in Rosa, manche in Gelb, manche bunt durcheinander. Raimund nannte sie eine Elbenprinzessin, und wenn man ehrlich war, gab es für eine Psychologin schlimmere Bezeichnungen. »Ich habe aber keine spitzen Ohren«, sagte sie; Raimund darauf: »Doch, haben Sie«, und sie langte tatsächlich prüfend nach oben. Lisbeth Schalk wirkte, als käme sie direkt aus einem Heimatfilm. Ihre Testbefunde waren nicht so umwerfend wie ihre Blumensträuße, aber das war eine andere Geschichte.
    Horn stampfte die Rindenspäne rings um den Nussbaum, den er im Herbst gepflanzt hatte, fest. Fertig. Ihm war warm. Er krempelte die Ärmel seines Hemdes hoch. Etwa ein Drittel der Ladung war übrig geblieben. Er löste die Kupplung und schob den Anhänger über den Rasen an die Rückwand des Schuppens. Den größten Teil des Mulches kippte er heraus, für den letzten Rest nahm er die Schaufel. Er formte einen gleichmäßigen Kegel. Irene würde die Sache trotzdem nicht passen. Ein Garten mit einem Rindenmulchhaufen war kein perfekter Garten.
    »Du wirst Blasen an den Händen bekommen.« Tobias lehnte an der Scheunenecke und grinste süffisant. »Eine Gefahr, der du dich in den letzten Jahren nicht ausgesetzt hast«, antwortete Horn, »woher kommst du überhaupt?«
    »Ich gehe in die Schule, wenn ich dich erinnern darf – siebente Klasse.«
    Horn warf die Schaufel auf die Ladefläche. »Hilf mir«, sagte er. Gemeinsam beförderten sie den Anhänger in die Garage. Tobias seufzte mehrmals gequält auf. Vätern adoleszenter Söhne sollte man ein gewisses Züchtigungsrecht einräumen, dachte Horn – ab und zu ein kleiner Hieb mit dem Weidenstöcklein, das wäre schon was. Er schloss das Garagentor. Ein großer Perlmuttfalter taumelte auf sie zu und setzte sich für eine Sekunde auf Tobias’ Brust. »Ein Perlmuttfalter«, sagte Horn. Tobias zuckte mit den Schultern. Irgendetwas habe ich übersehen, dachte Horn, während sie über den Kies aufs Haus zugingen. Er kam nicht drauf.
    »Hast du Hunger?«
    Tobias schüttelte den Kopf.
    »Bist du krank?«
    »Nur weil ich keinen Hunger habe? Der Dauerhunger hört auch irgendwann einmal auf. Wie alles im Leben.«
    Horn durchforstete die Brotlade. Zwei harte Semmeln und eine Packung Toastbrot, die an dem einen Ende kleine blaugrüne Schimmelpunkte angesetzt hatte. »Ist eh besser, dass du keinen Hunger hast«, sagte er. »Wusste ich’s doch«, sagte Tobias.
    »Wusstest du was?«
    »Dass ich in diesem Haus nicht ordentlich ernährt werde.«
    »Verschwinde!«, sagte Horn.
    »Rausgeworfen werde ich auch.«
    »Verschwinde!«
    Horn füllte den Wasserbehälter der Espressomaschine und legte ein Tab ein. Er hörte, wie Tobias davonschlurfte. Er geht mir auf die Nerven, dachte er, und ich möchte nichts von ihm wissen, nichts von Französisch oder Latein oder Physik.
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