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Die Götter 2. Das magische Zeichen

Die Götter 2. Das magische Zeichen

Titel: Die Götter 2. Das magische Zeichen
Autoren: Pierre Grimbert
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Ich heiße Zejabel von Kercyan. Früher wurde ich die »Kahati« genannt und trug sogar den Beinamen »die Mörderin«, aber das ist lange her und gehört zu einem anderen Leben. Meinen richtigen Namen, den, den mir meine Eltern gaben, habe ich vergessen. Ich werde mich wohl nie mehr daran erinnern.
    Denn es war so: Alle Mädchen, die von Zuïas Boten im Namen der Dämonin entführt wurden, hatten ihre Herkunft zu vergessen. Unser einziger Daseinszweck bestand darin, uns auf den Tag vorzubereiten, an dem eine von uns das höchste Opfer bringen würde: Zuïa ihren Körper schenken. Die Dämonin war zwar unsterblich, brauchte aber einen Körper aus Fleisch und Blut, um Gestalt anzunehmen. Zu diesem Zweck entrissen ihre Priester mich und andere Mädchen unseren Familien. Sie drillten uns gnadenlos darauf, Schmerz und Entbehrungen zu ertragen, damit eine von uns eines fernen Tages die grausame Rachegöttin in sich aufnehmen konnte. Diejenige, die diese zweifelhafte Ehre hätte, wäre dann nur noch eine Gefangene im Geist der Dämonin, eine leise Stimme in ihrem Kopf.
    Keine von uns hatte dieses Schicksal freiwillig gewählt, und wir ahnten damals noch nicht, welche Schrecken uns erwarteten. Dass die Rachegöttin Zuïa immer wieder menschliche Gestalt annahm, wurde streng geheim gehalten. Seit Jahrtausenden hüteten die Judikatoren in den Sümpfen des Lus’an ihre Traditionen. Eine ihrer Pflichten war es, gewöhnliche Sterbliche von ihrer Gebieterin fernzuhalten, eine zweite, jederzeit eine Schar Mädchen für Zuïa bereitzuhalten.
    An meine frühe Kindheit kann ich mich kaum erinnern. Alles, was mir geblieben ist, sind ein paar verschwommene Bilder. Bruchstückhafte Eindrücke, flüchtige Augenblicke. Zum Beispiel erinnere ich mich, wie ich hinter dem Haus meiner Eltern auf der Treppe saß und fasziniert zwei Salamander beobachtete, die sich ein Wettrennen lieferten. Ich erinnere mich auch an ein blaues Kleid, das meine Mutter gern trug. Ihr Gesicht habe ich jedoch vergessen.
    An den Tag, als SIE mich holen kamen, erinnere ich mich hingegen mit erschreckender Deutlichkeit. SIE, das waren Männer in roten Kutten, angeführt von einem Judikator. Sie sagten meinen Eltern, dass sie mich mitnehmen würden, denn ich sei gesund und somit eine » Auserwählte « . Mein Vater brach erst in Tränen aus und begann dann vor Wut zu toben. Ein paar Männer brachten mich nach draußen, während andere bei meinen Eltern im Haus blieben. Kurz darauf verstummten das Weinen und Schreien meines Vaters, und es war nur noch das Flehen meiner Mutter zu hören, das wenig später ebenfalls abbrach.
    Die Männer hätten meine Eltern auch dann getötet, wenn sie keinen Widerstand geleistet hätten, davon bin ich überzeugt. Zuïas Gesetz erlaubte keinen Bruch mit der Tradition. Die Dämonin wollte verhindern, dass ihre Untertanen Rachegelüste entwickelten oder aufbegehrten, und so waren die Eltern aller entführten Mädchen zum Tode verdammt. Zuïas Boten vollstreckten das Urteil der Rachegöttin immer, sei es am selben Tag oder Monde später.
    Nachdem ich meinen Eltern entrissen worden war, fand ich mich in einer Gruppe von etwa zwanzig weinenden Mädchen wieder. Die meisten von uns waren gerade einmal drei Jahre alt. Wir setzten uns in Bewegung, umringt von Männern, an deren Klingen noch das Blut unserer Eltern klebte. Zuïas Boten führten uns in die Sümpfe des Lus’an. Zu Fuß. Viele von uns trugen nicht einmal Schuhe – auch ich nicht.
    Die Mörder fassten uns nicht gerade mit Samthandschuhen an. Für sie waren wir nur eine Schar plärrender Gören, die sich nicht von der der Vorjahre unterschied. Vermutlich hatten sie den Befehl, auf dem Marsch zu Zuïas Palast eine erste Aussonderung vorzunehmen. Die Selektion war grausam: In den vier Tagen starben zwei Mädchen an Hunger oder Erschöpfung, und zwei weitere wurden von den Boten in den Sümpfen zurückgelassen, wo sie der sichere Tod erwartete. Dieses Schicksal war allen Mädchen bestimmt, die den Boten nicht aufs Wort gehorchten oder nicht aufhören wollten zu weinen.
    Ich gehörte weder zu der einen noch zu der anderen Sorte. Taub vor Müdigkeit und Hunger wurde ich nur von einem Gedanken beherrscht: Am Ende des Marschs würden uns die Männer vielleicht etwas zu essen geben und uns eine Weile schlafen lassen. Als wir an einem Strauch mit wilden Beeren vorbeikamen, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen und stopfte mir die süßen Früchte in den Mund. Ich war so ausgehungert,
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