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Die Götter 2. Das magische Zeichen

Die Götter 2. Das magische Zeichen

Titel: Die Götter 2. Das magische Zeichen
Autoren: Pierre Grimbert
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dass ich sogar ein paar schwächere Mädchen wegschubste, um möglichste viele Beeren abzubekommen. Ich war nur noch auf mein eigenes Überleben bedacht. Nach diesem Vorfall betrachteten mich die Wächter mit anderen Augen. Der Judikator schenkte mir sogar ein schmales Lächeln.
    Dieses Verhalten hätte mich misstrauisch machen sollen – mir hätte dämmern müssen, welches Schicksal mir bevorstand. Anstatt den Marsch fortzusetzen, hätte ich mich besser auf der Stelle im Morast der Sümpfe ertränkt.
    Der Wind war zwar nicht kalt, wehte aber so heftig, dass er Fanoun in einem fort Sand ins Gesicht blies. Vergeblich versuchte die Alte, ihren Schal so zu binden, dass Mund und Nase besser geschützt waren. Die salzigen Körner krochen in jede Falte ihres runzeligen Gesichts und trieben ihr Tränen in die Augen. Nach einer Weile beschloss sie, rückwärts gegen den Sturm anzulaufen, auch wenn sie auf diese Weise leichter stolperte. In ihrem Alter konnte jeder Sturz lebensgefährlich sein.
    Zum Glück gab es am Strand nicht viele Hindernisse. Überdies kannte Fanoun diesen Teil der Küste wie ihre Westentasche und hätte den Weg sogar mit geschlossenen Augen gefunden. Sie und ihr Mann hatten sich vor über sechzig Jahren in der Nähe des lorelischen Dorfs Berce niedergelassen, nur wenige Meilen vom Mittenmeer entfernt. Beide waren diesen Strand unzählige Male entlanggelaufen, um nach Muscheln zu suchen oder spazieren zu gehen. Seit dem Tod ihres Mannes vor zwölf Jahren hatte Fanoun diese Gewohnheit beibehalten. Manchmal, wenn weit und breit niemand in Sicht war, unterhielt sich die Witwe sogar leise mit dem Verstorbenen.
    Zum Glück war sie nicht völlig allein. Ihr Hund Gari, dessen rötlich-blondes Fell im Wind flatterte, hatte ein so überschäumendes Temperament, dass es Fanoun manchmal schon ermüdete, ihm beim Herumtoben zuzuschauen. Sein Alter war unklar, Fanoun schätzte ihn auf acht oder neun Jahre. Vor einigen Wintern hatte sie das Tier an eben diesem Strand gefunden, und seitdem waren die beiden unzertrennlich. Garis unbändiger Spieltrieb stellte die Geduld der alten Frau manchmal auf eine harte Probe, auch wenn er dafür sorgte, dass sie gesund blieb. Wenn sie den Hund nicht täglich mehrere Dezimen lange ausführen müsste, hätte sie bei diesem Wetter gewiss keinen Fuß vor die Tür gesetzt. Trotz des schneidenden Winds musste sie zugeben, dass ihr der Spaziergang guttat – zumindest weckte er angenehme Erinnerungen.
    Mit zusammengekniffenen Augen wandte sie den Kopf zur Seite, um einen kurzen Blick auf den Hund zu werfen, der am Meeressaum herumtollte. Es war Flut, und die Wellen rollten in einem fort an den Strand. Garis Überschwang und Kraft zu beobachten, war eine wahre Freude. Er war ständig in Bewegung, rannte hierhin und dorthin, vollführte Luftsprünge, stürzte sich ins Wasser, schüttelte sich, nur um gleich wieder loszulaufen …
    Wie üblich würde Fanoun später einen Teil des Abends darauf verwenden müssen, sein Fell zu bürsten. Manchmal hatte sie das Gefühl, der Hund wälzte sich absichtlich im Sand, nur um hinterher ausgiebig gestriegelt zu werden.
    Wenig später gelangte Fanoun zu einer Dünenkette, die im Volksmund » Finger des Riesen « oder einfach nur » die Finger « genannt wurde. Es war die einzige Erhebung weit und breit. Endlich konnte sie wieder vorwärtslaufen, denn die Dünen boten ein wenig Schutz vor den Windböen. Der Name rührte von einer alten Legende her: Einst habe ein Seeungeheuer in den Untiefen des Meers gehaust, und vor langer Zeit sei es zum Häuten an diesen Strand gekommen. Mit den Jahren hätte der Sand dann den abgestoßenen Panzer und die Scheren des Tiers unter sich begraben, und so seien die Dünen entstanden. Obschon Fanoun solchen Geschichten für gewöhnlich keinen Glauben schenkte, ließ sie an dieser Stelle jedes Mal unwillkürlich den Blick über die ungewöhnlich hohen Sandhügel wandern. Was, wenn die Legende doch einen Funken Wahrheit enthielt? Schließlich hatten im Laufe der Jahrhunderte mehrere Augenzeugen das Seeungeheuer gesichtet! Die alte Frau erschauderte bei dem Gedanken, die Dünen könnten auseinanderbrechen und eine alptraumhafte Kreatur mit schuppigem Panzer und spitz gezackten Scheren zum Vorschein bringen. Die Alte malte sich die Szene so lebhaft aus, dass sie heftig zusammenzuckte, als Gari plötzlich zu bellen begann.
    Zum Glück konnte sie ein rascher Blick den Strand entlang beruhigen. Der Hund schlug nur an, weil
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