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Die Götter 2. Das magische Zeichen

Die Götter 2. Das magische Zeichen

Titel: Die Götter 2. Das magische Zeichen
Autoren: Pierre Grimbert
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denn, wir hätten geteilt. Dafür waren wir jedoch viel zu ausgehungert. Innerhalb kürzester Zeit entspann sich eine wilde Prügelei. Diejenigen von uns, die etwas geschlafen hatten und wieder zu Kräften gekommen waren, siegten. Mit Zähnen und Krallen verteidigten wir unsere Beute, um unseren quälenden Hunger zu stillen. Den Verliererinnen blieb nichts anderes übrig, als noch bitterlicher zu weinen – oder sich vorzunehmen, beim nächsten Mal zu den Siegerinnen zu gehören. So begann zu unserer Schande ein Kampf auf Leben und Tod, der mir während der nächsten fünfzehn Jahre in Fleisch und Blut übergehen sollte. Es war die einzige Chance zu überleben.
    Nach diesem ersten Kampf wurden wir in die Bäder geführt und kamen endlich in die Obhut von ein paar Frauen. Es waren die ersten, die ich in dem Dorf rings um Zuïas Palast sah, Mädchen von dreizehn oder vierzehn Jahren. Sie entkleideten und wuschen uns und schoren uns dann das Haar, nicht mit unnötiger Brutalität, aber auch ohne jedes Mitgefühl.
    Ein Jahrzehnt später würde ich selbst eine dieser jungen Frauen sein. Die Sterblichen, die der Dämonin dienten, waren eine eingeschworene Gemeinschaft, die jahrhundertealten Traditionen folgte und in der jeder bestimmte Aufgaben zu erfüllen hatte – streng getrennt nach Alter, Geschlecht und Rang. So waren alle Männer, vom einfachsten Boten bis zum obersten Judikator, für den Schutz des Palasts, die Kampfausbildung und den religiösen Unterricht zuständig. Vom Kochen, Putzen und anderen häuslichen Tätigkeiten waren sie befreit. Zudem war es ihnen verboten, sich Zuïas Schülerinnen auf ungebührliche Weise zu nähern. Alle Mädchen, die Zuïa dienten, mussten Jungfrauen bleiben, sonst konnte ihr Körper den Geist der Dämonin nicht aufnehmen. Die wenigen Mädchen, die dieses Gesetz missachteten, wurden aufs Grausamste bestraft.
    Alle Anwärterinnen auf den Titel der Kahati, die im Kampf um Zuïas Gunst über sehr viel Jüngere herfielen, wurden ebenfalls hart bestraft. Es wäre den jungen Frauen, die uns das Haar schoren, ein Leichtes gewesen, uns mit dem Rasiermesser die Kehle durchzuschneiden und so eine Rivalin aus dem Weg zu räumen, aber die Judikatoren wachten scharf darüber, dass der Wettstreit immer nur innerhalb einer Generation ausgetragen wurde. Sie mussten in jedem Jahr eine Kahati ernennen können und deshalb um jeden Preis verhindern, dass die Älteren die Jüngeren töteten. So lernte ich bald, mich vor allem vor Mädchen meines Alters in Acht zu nehmen. Die Jüngeren und Älteren ignorierten mich meistens und warteten schlimmstenfalls auf eine Gelegenheit, mir heimlich einen Stoß zu versetzen, damit ich verunglückte.
    Nachdem man uns gewaschen und das Haar geschoren hatte, bekamen wir zu unserer Körpergröße passende purpurrote Gewänder. Jahrelang würden all meine Kleider diese Farbe haben. Anschließend führte man uns vor die Herrin des Hauses, unsere Gebieterin, der wir fortan bedingungslos gehorchen mussten – jedenfalls, wenn uns das Leben lieb war.
    Ich muss gestehen, dass Zuïa mich über alle Maßen beeindruckte. Die Judikatoren stellten sie uns als Göttin vor, als unsere Göttin, und Zuïa lieferte uns auch gleich einen Beweis ihrer Macht. Einige Mädchen begannen hysterisch zu kreischen, als Zuïa in ihre Gedanken eindrang und dort zu ihnen sprach, aber die meisten empfanden nichts als Ehrfurcht und Bewunderung. Die Rachegöttin zeigte sich an jenem Tag von ihrer besten Seite. Auch wenn sie es nicht laut sagte, schien sie uns allen eine Mutter sein zu wollen. Wir sehnten uns so sehr nach ein wenig Zuwendung …
    Dann gaben uns die Judikatoren der Tradition gemäß einen neuen Namen: Fortan hieß ich Zejabel. Sie gaben uns zu verstehen, dass wir unsere Herkunft schnellstmöglich vergessen mussten. Damals erschien mir das unmöglich, aber mittlerweile weiß ich, dass die Judikatoren ihr Ziel erreicht haben.
    Tage, Dekaden, Monde, Jahre zogen ins Land. Niemand entkam Zuïas Gesetz. Im Lus’an mussten wir all unsere Individualität aufgeben – wir waren Dienerinnen der vermeintlichen Göttin, sonst nichts. Der Wettkampf stand im Mittelpunkt von allem, und wir wurden ständig dazu angehalten, über uns selbst hinauszuwachsen. Meine Kindheit und Jugend waren eine einzige Abfolge harter körperlicher und geistiger Prüfungen. Die Judikatoren unterwiesen uns in den Kampfkünsten, im Gebrauch verschiedener Gifte und in den rätselhaften Gesetzen, denen die Unsterblichen
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