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Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Titel: Das Mädchen von San Marco (German Edition)
Autoren: Katie Hickman
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war abgeflaut und man hörte nur noch das leise Klicken der Kieselsteine, die von den Wellen überspült wurden. Es roch durchdringend nach Verwesung, nach Algen und verrottendem Kiefernholz.
    »Hier, das habe ich dir mitgebracht.« Elena gab Maryam ein Stück Brot und etwas Käse.
    Maryam biss dankbar hinein. Sie schmeckte das Salz auf den Lippen. Das restliche Brot steckte sie in den Lederbeutel, der an ihrem Gürtel hing.
    »Na, nun sieht es doch so aus, als würden wir hier bleiben«, sagte sie nach einer Weile mit rauer Stimme. Weder sie noch Elena erwähnten das tote Pferd.
    »Wir brauchen Arbeit, das weißt du.«
    »Arbeit? Panagia mou! Bei der Heiligen Jungfrau, hier gibt es keine Arbeit.« Maryam spie die Worte förmlich aus.
    »Aber – ich dachte, du hättest gesagt …« Elena sah sie ratlos von der Seite an. »War da nicht ein Dorffest?«
    »Es gibt kein Dorffest.«
    »Was soll das heißen, kein Dorffest?« Elena versuchte, Maryams trübe Stimmung zu vertreiben. »Es gibt immer etwas zu feiern!«
    »Was, in diesem Geisterdorf? Wie soll es an diesem Ort ein Dorffest geben, wenn keine Menschen hier wohnen?« Maryam wies mit einer verächtlichen Kopfbewegung auf die Hütten. »Wir dürfen uns nichts mehr vormachen, man hat uns reingelegt. Wäre ja nicht das erste Mal. Eine wandernde Gauklertruppe ist schlimm genug, nicht mehr wert als diebische Zigeuner. Aber eine Gauklertruppe, die nur aus Frauen besteht, ohne Ehemänner oder Väter, die sie in Schach halten – das ist ganz und gar wider die Natur.« Ihr Ton war bitter. »Ist es nicht ein herrlicher Spaß, sie zum Narren zu halten und in die Irre zu schicken? Dieser Kerl aus Messina findet bestimmt, dass wir noch glimpflich davongekommen sind …«
    »Dieser Mann, Maryam.«
    Aber Maryam hörte nicht mehr zu. Der Gedanke an das tote Pferd, das in dieser Hitze sicher schon angefangen hatte zu stinken, ließ ihr keine Ruhe. Sie verbarg den Kopf in den Händen. Sollten sie versuchen, sein Fleisch zu essen? Oder es zu verkaufen? Sie drückte die Finger so fest gegen die Augäpfel, dass Lichtfunken sprühten. Der Verlust des einzigen Pferdes war eine große Katastrophe, deren Folgen sie noch gar nicht überblicken konnte. Sie würden zunächst nach Messina zurückkehren müssen, und zwar zu Fuß. Es hatte sie drei Tage gekostet, in dieses Dorf zu gelangen. Sie war die stärkste Frau der Truppe, stärker als drei Männer, doch trotz ihrer enormen Körperkräfte bezweifelte sie, dass es ihr gelingen würde, den Karren den ganzen Weg zurückzuziehen. Vielleicht, wenn sie sich ins Geschirr spannte?
    »Maryam!« Elena schüttelte sie am Arm. »Maryam, hörst du mir zu?«
    »Was?«
    »Er ist da.«
    »Wer ist da?« Maryam hob das Gesicht. Ihr Augen tränten.
    »Der Mann, der uns angeworben hat. Der aus Messina.«
    »Er ist hier?«
    »Ja. Ich habe ihn gesehen.«
    »Dann siehst du schon Gespenster.«
    »Er ist kein Gespenst.« Elena lächelte. »Ich habe auch mit ihm gesprochen. Er ist ins Lager gekommen, und da sitzt er jetzt und wartet auf uns. Deshalb bin ich dir überhaupt gefolgt.«
    Sie fanden den Mann, der sich Signor Bocelli nannte, bequem auf die Erde gelagert und herzhaft in ein Stück getrockneten Speck beißend, das er zwischen zwei Scheiben Brot geklemmt hatte. Maryam, die nie gern viele Worte machte, verschwendete ihre Zeit nicht mit nutzlosen Vorwürfen.
    »Ich weiß nicht, warum Ihr uns in dieses Pestdorf gelotst habt, und es ist mir auch gleichgültig. Aber wir wollen für unsere Mühe trotzdem bezahlt werden, capisca? « Sie hoffte, dass er ihr die Verzweiflung nicht anmerkte.
    Signor Bocelli antwortete nicht sofort. Es schien ihm Vergnügen zu bereiten, sie vor sich stehen zu lassen. Er holte aus seinem ledernen Ranzen eine rohe Zwiebel, groß wie ein Straußenei, und biss genüsslich hinein.
    »Huu, das hatte ich vergessen!« Endlich grinste er zu ihr hoch und schüttelte schmatzend den Kopf. »Du bist wirklich ein Riesenweib.« Maryam sah, wie ein Stück unzerkaute Zwiebel aus seinem Mund flog und auf ihrem Fuß landete. Er folgte ihrem Blick. »Huu, Füße, so groß wie ein Zyklop, und Pranken …« Während ihm Zwiebelsaft über das Kinn rann, setzte er immer noch grinsend hinzu: »Huu, und abgrundtief hässlich überdies, bei Gott.«
    Glaubst du, das habe ich nicht alles schon oft genug gehört? Maryam betrachtete ihn ungerührt. Das und Schlimmeres. Viel Schlimmeres. Fällt dir wirklich nicht mehr ein, du verlogener, betrügerischer
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