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Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Titel: Das Mädchen von San Marco (German Edition)
Autoren: Katie Hickman
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jammernden Tonfall an.
    Erstaunt begriff Maryam, dass er die Möglichkeit, sie könne sich weigern, nie in Betracht gezogen hatte. »Wenn es so ein großer Fehler ist, warum nehmt Ihr sie dann nicht selbst?«
    Noch im selben Moment bereute sie ihre Worte. Außerdem ist sie keine Meerjungfrau. Das wisst Ihr so gut wie ich. Sie ist eine junge Frau, der die Beine gebrochen wurden. Gott allein weiß, was sie an diesen trostlosen Ort verschlagen hat.
    Während Maryam die Straße entlangschritt, dachte sie gründlich nach. Sie kannte die Bocellis dieser Welt. Noch flehte er sie an, fast furchtsam, aber das würde nicht lange so bleiben. Sie wusste, dass es falsch gewesen war, seinen Vorschlag so harsch zurückzuweisen. Sie musste alle Frauen so schnell wie möglich von hier fortbringen. Bevor Bocelli seine Wut an ihr – an ihnen allen – ausließ, was zweifellos zu erwarten war. Maryam grübelte, wie sie seinen verletzten Stolz besänftigen konnte. Er war ihr nachgelaufen und klebte jetzt an ihren Fersen.
    »Zudem, Signor Bocelli, haben wir nicht genug Geld, um sie Euch abzukaufen.«
    »Geld? Wir wollen kein Geld.« Keuchend bemühte er sich, mit ihr Schritt zu halten. »Ihr könnt sie umsonst haben.«
    »Es tut mir leid, aber ich will sie nicht.«
    »Wir geben euch ein Pferd.«
    Maryam blieb abrupt stehen. »Was?«
    »Ich sagte, wir geben euch ein Pferd. Wenn ihr sie von hier wegbringt.« Er atmete schwer. »Das ist alles, worum wir dich bitten.«
    Sie starrte ihn an und traute ihren Ohren kaum. »Ihr wollt mir ein Pferd geben?« Wen er wohl mit ›wir‹ meinte?, fragte sie sich beiläufig.
    »Euer Pferd ist krepiert, oder etwa nicht?« Maryam spürte, wie ihr der Schweiß über Schläfe und Wangen rann. »Wie wollt ihr denn sonst von hier fortkommen?«
    Die Waage neigte sich zu seinen Gunsten, das spürte sie. Es kostete sie ihre ganze Selbstbeherrschung, nicht gleich zu antworten, und so hatte sie die Genugtuung, das dreiste Funkeln in Bocellis Augen wieder erlöschen zu sehen.
    »Wohin wollt ihr als Nächstes?«, nahm er den Gesprächsfaden wieder auf, während er neben ihr herhastete.
    »Die Küste hinauf«, erwiderte sie mürrisch, »zur Serenissima.«
    »Nach Venedig?« Das schien er gern zu hören.
    »In unserem Gewerbe führen alle Wege zur Serenissima«, antwortete Maryam kühl.
    »Hör zu …« Er versuchte es jetzt mit einer anderen Taktik und schlug einen verschwörerischen Ton an, »die Dörfler haben Angst, darum geht es.« Er wies auf die menschenleere Straße. »Sie kommen erst wieder, wenn die Meerjungfrau fort ist.«
    »Angst vor einer Frau mit gebrochenen Beinen?«
    »Eine Frau mit …?« Für einen Augenblick blitzte ein Ausdruck in Bocellis Augen auf, den Maryam nicht deuten konnte. »Ach ja, richtig. Sie haben sie in einem Fischernetz gefangen. Wir dachten alle, sie wäre ertrunken, aber …« Er schüttelte den Kopf. »Sie starb nicht. Nicht einmal, nachdem das Kind geboren war.«
    »Das Kind? Sie hat ein Kind? « Maryam erinnerte sich an das kleine Bündel neben der Frau. Das war es also gewesen. Panagia mou! Die arme Mutter und ihr Kind wären besser gestorben, statt Männern wie Signor Bocelli ausgeliefert zu sein. Maryam wischte sich die schweißnasse Stirn. »Die armen Geschöpfe!«
    »Es ist nichts Geringeres als ein Wunder, wenn du mich fragst.« Bocelli wich ihrem Blick aus. »Entweder das – oder Teufelswerk, was wahrscheinlicher ist. Ist es denn so eigenartig, dass alle eine solche Angst haben? Wie ist sie in diesem Zustand hergekommen? Sie kann unmöglich …«
    Doch Maryam hatte genug gehört und war des Gesprächs allmählich überdrüssig. »Sie kann eben schwimmen. Das ist doch nicht so schwer zu verstehen.«
    »Schwimmen?« Bocelli sah skeptisch drein. »In ihrem Zustand? Und woher kommt sie? Die nächste Insel ist über hundert Wegstunden entfernt.«
    »Es hat wohl noch niemand daran gedacht, sie zu fragen?« Maryam erlaubte sich eine Spur Sarkasmus.
    »Sie spricht nicht.« Bocelli senkte den Blick. »Sie … kann nicht sprechen.«
    »Ich dachte, Ihr hättet gesagt, dass Meerjungfrauen in dieser Gegend als Glücksbringer gelten? Warum behaltet Ihr sie nicht?« Jetzt war Maryam neugierig.
    »Sie behalten? In dieser Gegend glaubt man schon immer, dass Meerjungfrauen Glück bringen. Man findet diese Amulette fast überall entlang der Küste … Ich bin überrascht, dass du noch nie eines gesehen hast.« Er zuckte die Achseln. »Aber eine echte Meerjungfrau …! Niemand
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