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Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Titel: Das Mädchen von San Marco (German Edition)
Autoren: Katie Hickman
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Elendswurm? Weißt du, dass ich dir mit bloßen Händen den Schädel zerquetschen könnte? Aber sie sagte nichts. Sie stand nur da, in ihrem unförmigen Männerkittel und ihren Stiefeln, und starrte auf ihn hinunter, bis er endlich sein albernes Grinsen sein ließ und fast verwirrt dreinschaute, bezwungen von der schieren Macht ihres Schweigens.
    »Schon gut, schon gut.« Er rülpste laut und warf den Rest der halb verzehrten Zwiebel in seinen Lederranzen zurück.
    »Warum habt Ihr uns in dieses Pestdorf geschickt?« Maryam hatte allmählich genug von Signor Bocelli. »Hier gibt es keine festa .«
    »Nun ja, damit hast du Recht, eine festa findet hier nicht statt. Aber es ist kein Pestdorf.« Er blickte sie mit schiefgelegtem Kopf lauernd an.
    »Was dann? Es gefällt mir nicht …« Maryams Blick folgte einem einsamen Hund, der zwischen den verlassenen Hütten umherstreunte. »Dieser Ort hat etwas … Seltsames an sich.«
    »Hat es dir niemand erzählt? In Messina, meine ich?«
    »Was erzählt?«
    »Was für ein Dorf das ist.«
    »Ihr sprecht in Rätseln, Signor Bocelli«, sagte Maryam ungeduldig. »Wärt Ihr wohl so gut, zur Sache zu kommen?«
    »Hast du so etwas schon einmal gesehen?« Der Mann holte einen kleinen glänzenden Gegenstand aus seinem Ranzen und hielt ihn ihr hin. Maryam ergriff ihn und drehte ihn vorsichtig hin und her.
    »Was ist das? Ein Amulett? Eine Art Fisch?«
    »Ein Amulett. Sieh genauer hin.«
    Maryam kniff die Augen zusammen. Das Amulett bestand aus Silber und zeigte keinen Fisch, wie sie jetzt erkannte, sondern … »Eine Meerjungfrau!«
    Die Meerjungfrau hing an einer Silberkette. Sie lag auf dem Rücken und blies in ein Horn. Auf dem Kopf trug sie eine Krone und an ihrem Schwanz hingen kleine Glöckchen.
    Maryam erinnerte sich an das leise Klimpern am Dorfrand. »Ich habe so etwas schon gesehen«, sagte sie, »vor dem Dorf, an dem Steinkreuz. Ich habe nur nicht verstanden, was es ist.«
    »In dieser Gegend glaubt man von alters her, dass Meerjungfrauen Glück bringen. Man findet diese Amulette fast überall entlang der Küste. Es wundert mich, dass du noch nie eines gesehen hast. Und in diesem Dorf werden sie besonders verehrt. Das Sache ist nur die«, schloss er und wirkte auf einmal nervös, »jetzt haben sie tatsächlich eine. Eine echte, meine ich.«

Kapitel 3
    Sie lag hinter einer Bretterwand in einem der Ställe, ein schmales Bündel mit verfilztem Haar. Ein zweites Bündel, viel kleiner und schmutziger, lag neben ihr. Zuerst hielt Maryam beide für tot, so still lagen sie da, aber als sie sie eine Weile lang schweigend betrachtet hatte, hob das Bündel eine Hand, durchscheinend wie Papier, und ein heftiger Gestank stieg ihr in die Nase. Eine Wolke dicker schwarzer Fliegen schwirrte träge von den schwärenden Wunden an den Hand- und Fußgelenken auf, an denen sie sich gelabt hatten, und ließ sich dann wieder darauf nieder. Es stank nach Kot und fauligem Fisch.
    Maryam wich zurück. Sie hatte genug gesehen.
    »Wenn das ein Pferd wäre, würde ich es erschießen.«
    Sie versuchte, an Bocelli vorbei nach draußen zu gelangen, aber er versperrte ihr den Weg.
    »Lasst mich durch …«
    »Nehmt sie mit. Ihr könntet sie bei euren Vorführungen verwenden.«
    »Wie denn genau?« Maryam kämpfte gegen die Übelkeit. »Wir sind eine Truppe von Gauklern und Akrobaten, Signor Bocelli.«
    »Ihr könnt sie ausstellen. Als Kuriosität.« Er legte Maryam die Hand auf den Arm, und sie unterdrückte nur mit Mühe den Impuls, sie grob wegzuschlagen.
    »Als Missgeburt, meint Ihr?«
    »Als zusätzliche Attraktion, ja! Jetzt verstehst du endlich. Das habe ich gemeint.« Zum ersten Mal verzog sich Bocellis Gesicht zu etwas, das man als freundliches Lächeln deuten konnte. »Ihr werdet mit ihr ein Vermögen verdienen!« Er rieb vielsagend die Fingerspitzen aneinander.
    Maryam blickte zu ihm hinunter. Wenn sie vor ihm stand, war sie zwei Köpfe größer als er. Konnte er den Ausdruck in ihren Augen erkennen? Sie hoffte es.
    »Nein, das glaube ich nicht.« Sie klaubte seine Hand von ihrem Arm. »Trotzdem danke ich Euch.«
    Bocelli folgte ihr auf die staubige Straße. Die Sonne stand jetzt hoch am Himmel und die Hitze, die von den weißen Wänden abstrahlte, traf sie wie ein Schlag.
    »Aber … sie ist eine Meerjungfrau, eine echte, lebende Meerjungfrau!«, hörte sie ihn rufen, während sie sich vom Stall entfernte. »Du machst einen Fehler, einen großen Fehler …« Seine Stimme nahm einen
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