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Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Titel: Das Mädchen von San Marco (German Edition)
Autoren: Katie Hickman
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weiß etwas mit ihr anzufangen, sie haben sogar Angst, sich ihr zu nähern. Sie hätten sie mittlerweile getötet, wenn sie nicht glauben würden, dass ihnen das noch viel schlimmeres Unheil bringt.«
    »Und deshalb habt Ihr uns hergelockt? Damit wir sie mitnehmen?«
    »Ja.«
    Maryam sagte nichts. Aus dem Augenwinkel sah sie einen kleinen Staubteufel aus Sand und Erde über die glühend heiße Straße wirbeln. Das Meer hinter den Fischerhütten war von einem so tiefen Dunkelblau, dass es fast schwarz wirkte.
    »Nehmt sie mit. Nehmt sie mit nach Venedig.«
    Ihre Blicke trafen sich. Bocelli seufzte.
    »Ich gebe euch mein Pferd.«
    Maryam wandte sich ab und ging auf das Lager der Frauen zu, das sich zwischen zwei knorrige Olivenbäume duckte.
    »Mein Preis sind zwei Pferde, Signor Bocelli«, rief sie über die Schulter zurück.
    » Zwei Pferde?«
    »Ihr wollt doch sicher, dass ich auch das Neugeborene mitnehme?«
    Signor Bocelli besaß den Anstand, ein verlegenes Gesicht zu machen, und murmelte etwas Unverständliches.
    »Gut, dann also zwei Pferde.« Maryam nickte kurz. »Ich bringe sie noch heute Nacht fort.«
    Als Elena die junge Frau zum ersten Mal sah, gingen ihr viele Gedanken durch den Kopf, aber sie äußerte keinen davon. Sie und Maryam betteten sie auf dem Fußboden auf ein Lager aus Kissen, wo sie ganz still liegenblieb, das Bündel schmutziger Lumpen an die Brust gedrückt. Zwischen den Stofffetzen drang ein Laut hervor, der wie das Miauen eines Kätzchens klang.
    Elena blickte zu Maryam hoch. »Sie hat ein Kind?«
    »Anscheinend.«
    »Das arme Mädchen.« Elenas blasses Gesicht wurde noch länger und trauriger, und sie betrachtete die junge Frau. »Was ist ihr zugestoßen?«
    »Das weiß niemand. Sie haben sie in einem Fischernetz aus dem Meer geholt. Das behauptet Bocelli jedenfalls.«
    »Und du glaubst ihm?«
    »Ich und Bocelli glauben? Natürlich nicht. Sie wurde vermutlich einfach irgendwo ausgesetzt, von ihrem Mann, vom Vater des Kindes, wer weiß. Jetzt behaupten sie, sie sei eine Meerjungfrau oder dergleichen Unsinn.«
    »Und sie haben Angst?«
    »Zu viel Angst, um sie zu behalten. Zu viel Angst, um irgendetwas anderes für sie zu tun, als ihr rohen Fisch hinzuwerfen.«
    Elena hockte sich auf den Boden. »Du armes Wesen.« Sie strich der jungen Frau über die Haare und redete mit leiser, beruhigender Stimme auf sie ein, als sei sie ein gefangenes Tier. »Ich tue dir nicht weh.« Aber sie hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen. Die junge Frau hielt ganz still, auch als sie ihr die dreckigen Lumpen auszogen, die Wunden an Hand- und Fußgelenken auswuschen, die verkrümmten Beine säuberten und ihr ein sauberes Leinenhemd anzogen. Sie versuchte nicht, sich ihrer Fürsorge zu entziehen, sondern lag duldsam und stumm vor ihnen.
    »Die Arme«, sagte Elena, als sie fertig waren, »sie hat nicht mehr Verstand als der Säugling.«
    »Und diese Lumpen kann man nur noch verbrennen.« Maryam hob das Kleiderbündel auf und ein kleiner Gegenstand fiel zu Boden. Als sie sich vorbeugte, um ihn aufzuheben, sah sie, dass es sich um einen Beutelchen aus rosarotem Samt handelte. »Wo war das denn versteckt?« Sie hielt den Beutel hoch, damit Elena ihn sehen konnte.
    Elena hob die Schultern. »Er muss irgendwo unter den Kleidern gelegen haben oder war in ihr Unterzeug eingenäht. Ich weiß es nicht. Mach ihn auf, er könnte uns einen Hinweis geben.«
    Maryam zog den Beutel auseinander und holte einen harten, runden Gegenstand hervor, der in ein Stück Stoff eingewickelt und ungefähr so groß wie das Ei eines Zwerghuhns war.
    »Was ist das?«
    »Ich bin mir nicht sicher.« Maryam wickelte den Stoff ab und betrachtete den Gegenstand ratlos.
    »Es sieht aus wie ein Stein. Ein gewöhnlicher Stein, wie man ihn am Strand findet.« Sie wog ihn in der Hand. »Es könnte tatsächlich einer sein, den jemand hier am Strand aufgehoben hat … Was ist los, Elena?«
    Während Maryam den Inhalt des Beutels begutachtete, hatte Elena den Säugling auf die Knie gehoben und begonnen, ihm die schmutzige Windel auszuziehen. Nun starrte sie das Kind an. Ihr Gesicht war noch bleicher als sonst.
    »Elena – was ist denn?«
    »Sieht dir das an!« Elenas Stimme war heiser. »Sie ist … sie ist … Signor Bocelli hat doch nicht gelogen!«
    Sie hielt Maryam das Kind hin.
    Der Säugling war so winzig, dass sich Maryam im ersten Moment nur wunderte, dass er überhaupt noch lebte. Er lag ganz still auf Elenas Händen. Zuerst schienen seine
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