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Das Mädchen und die Herzogin

Das Mädchen und die Herzogin

Titel: Das Mädchen und die Herzogin
Autoren: Astrid Fritz
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behandelt oder gar geschlagen, nicht mal in ihrer größten Wut. Dabei hätte sie allen Grund gehabt, eifersüchtig zu sein auf Marie und ihre kleine Schwester Nele, die vor drei Jahren in ihr Elternhaus hereingeschneit kamen, nur mit einem Bündel unterm Arm. Eifersüchtig auf diese beiden Mädchen, die so viel Platz auf ihrem Bettlager beanspruchten und die kargen Mahlzeiten noch karger werden ließen. Stattdessen hatte Irmel sie sogar verteidigt, im Dorf, gegen die anderen Kinder, die sie als Reingeschmeckte quälten und piesackten.
    «Los, los, zusammenräumen. Es ist Feierabend.»
    Die Müllersfrau war eingetreten und trieb die Dorffrauen zur Eile an. Kurz darauf standen sie alle in der tiefschwarzen Nacht, durch die der Sturm seine regennassen Böen fegte, dass der Wald ringsum ächzte und stöhnte.
    «Warte.» Irmel hielt sie zurück. «Lass sie vorausgehen. Dann können wir ein bisschen schwatzen.»
    Unwillig blieb Marie stehen und zog sich den Umhang tiefer ins Gesicht. Er war ein zerschlissenes, mehrfach geflicktes Stück Stoff, ein besserer Lumpen, und wärmte kein bisschen.
    Irmel hakte sich bei ihr unter. «Was gäbe ich drum, beim Einzug der Braut dabei zu sein. Einmal nur rauskommen aus diesem Drecksloch hier.»
    Marie nickte stumm. Wahrscheinlich würde ihre Base niemals aus diesem Dorf herauskommen, sondern ihrer hartherzigen Mutter bis zum bitteren Ende ausgeliefert sein. Um wie viel freundlicher sah Marie da ihre eigene Zukunft, auch wenn es sie vor drei Jahren mit dem plötzlichen Tod ihrer Eltern so hart getroffen hatte. Irgendwann würde sie in ihr Heimatdorf zurückkehren, nach Beutelsbach, einem Winzerdorf im hellen, lichten Remstal, zwei Tagesmärsche von hier. Und dort wartete jemand auf sie.
    «Woran denkst du?»
    «An Beutelsbach. Im Remstal ist es viel schöner als hier, in diesem blöden, düsteren Wald. Viel sonniger und wärmer.»
    «Ach – und du meinst wohl, dass dein Balthus auf dich wartet, bis du ihn endlich heiraten darfst? Dass ich nicht lache! Bis dahin wird der längst eine andre haben.»
    «Er hat es mir versprochen. Außerdem heißt er nicht Balthus, sondern Vitus.»
    «Ist doch eh wurscht. Kein Bursche wartet vier Jahre lang auf seine Braut.»
    «Du bist gemein!»
    Marie schüttelte den Arm ihrer Base ab und rannte los. Der geschmolzene Schnee hatte den Weg durchs Dorf in ein einziges Schlammloch verwandelt, in dem man bis zu den Knöcheln stecken blieb. Sie unterdrückte ein Fluchen. Natürlichwürde Vitus auf sie warten, schließlich waren sie von Kindesbeinen an unzertrennlich gewesen. Nichts und niemand konnte sie auseinanderbringen. Und nach der Hochzeit würde er den Weinberg seines Vaters übernehmen. Das hatten sie alles abgesprochen, damals beim Abschied, als man sie zu ihrer Verwandtschaft in den Schönbuch gebracht hatte.
    Endlich stand sie vor dem Haus der Schechtelins, einer schäbigen Hütte am äußersten Dorfrand. Ihre Zieheltern waren einfache Seldner, ohne Stimmrecht im Dorf, sie besaßen nichts als dieses Häuschen und ein kleines Ackerstück hinten am Waldrand. Wollten sie nicht verhungern, waren sie auf Allmende und Zubrot angewiesen, wie jetzt im Winter aus den Handarbeiten der Frauen. Außerdem waren sie, das hatte Marie längst bemerkt, nicht sehr angesehen in der Gemeinde. Unter ihnen standen nur noch das Gesinde der reichen Vollbauern und das gute Dutzend Taglöhner, die bei der Dorfversammlung nicht mal den Mund aufmachen durften.
    Fast gleichzeitig mit Marie kam Berthe bei der Türschwelle an.
    «Wo ist Irmel?», herrschte ihre Muhme sie an.
    «Weiß nicht.»
    «Dann kriegt sie halt nichts zu essen, wenn sie so trödelt.»
    Sie betraten die Hütte, die von einer Tranfunzel über dem Tisch in spärliches Licht getaucht war. Abgestanden und schwer hing die Luft in dem einzigen Raum, es stank nach gekochtem Kohl. Am Herd stand Nele und rührte im Kessel die Suppe. Das zierliche, für seine acht Jahre viel zu kleine Mädchen war seit diesem Winter für Kochen und Hausarbeit verantwortlich.
    «Hockt ihr euch jetzt endlich auf euern Arsch?», schnauzte Utz Schechtelin und holte den Kessel vom Herd. Der Hausvater war ein kräftiger Mann mit Vollbart und struppigemlangem Haar, in dem schon graue Strähnen schimmerten. «Die Suppe ist längst verkocht.»
    Rasch hängte Marie den Umhang an den Haken und quetschte sich neben Michel und Lenz, den beiden Schechtelin-Söhnen, auf die Bank. Die lümmelten wahrscheinlich schon seit Stunden faul am Tisch, mit
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