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Das Mädchen und die Herzogin

Das Mädchen und die Herzogin

Titel: Das Mädchen und die Herzogin
Autoren: Astrid Fritz
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führte auf einem Knüppeldamm der Weg in die obere Vorstadt der Residenz, die noch nicht einmal einen geschlossenen Mauerring besaß: Auf weite Strecken sah man hinter den unbefestigten Gräben nur löchrige Plankenzäune und Dornverhaue. Auch ein Großteil der Häuser schien unfertig, überall standen Baukräne herum, eine einzige Gasse nur war gepflastert. Auf dieser durchquerten sie die Vorstadt zügig und ohne Halt, unter dem Lärm der Wagenräder und Pferdehufe. Herzog Ulrich sah sich veranlasst, eine Erklärung abzugeben.
    «Hier war einstmals der herzogliche Turnieracker.» Seine Stimme klang ein wenig rau, aber nicht unangenehm. «Bald aber wird sich rund um das Kloster dort drüben eine Vorstadterheben, die im Reich ihresgleichen sucht. Unsere besten Baumeister sind hier zugange, alles ist sorgfältig geplant mit lauter winkelrecht gehenden Gassen wie bei einem Schachbrett.»
    Sabina nickte nur stumm, denn sie näherten sich der inneren Ringmauer, die von Türmen und stolzen Bürgerhäusern überragt wurde. Deutlich erkannte sie, vor den Umrissen der trutzigen Burg, eine Basilika mit einem hübschen schlanken Turm und einem zweiten, unfertigen, der einer Ruine glich. Halb Stuttgart scheint eine Baustelle, dachte sie. Und dann, mit halbem Schrecken: Jetzt ist es so weit. Als Erstes nämlich, so sah es das Zeremoniell vor, würde die Trauung stattfinden, vor dieser Kirche dort mit dem halben und dem ganzen Turm.
     
    «Wo bleiben sie nur?»
    Irmel trat ungeduldig von einem Bein aufs andere. Längst hatten sie den fürstlichen Tross in der Ferne entdeckt, oben in den Hügeln, hatten den dumpfen Schall der Pauke, den hohen Klang der Zinken und Trompeten vernommen. Aber der Zug schien sich keinen Hufschlag vorwärtszubewegen. Langsam begann Marie zu frieren. Sie hatten sich einen Platz erkämpft in vorderster Reihe am Straßenrand, dicht beim Obertor, durch das Braut und Bräutigam einziehen sollten. Und diesen Platz würden sie auch nicht aufgeben, selbst wenn sie sich noch Stunden die Füße in den Leib stehen mussten. Das hatte zumindest Irmel, als die Ältere, so bestimmt.
    Für Marie war das alles immer noch wie ein Traum: Sie hatte sich tatsächlich, in der vergangenen Nacht erst, überreden lassen, ihre Base bei dieser verwegenen Unternehmung zu begleiten. War mit ihr vor Morgengrauen aus dem Dorf geschlichen, in den Lederschuhen von Irmels Brüdern, die siemit Lappen ausgestopft hatten und die ihnen nun schmerzende Blasen bescherten. Dafür würden die Buben den ganzen Tag barfuß laufen müssen und fluchen, was das Zeug hält. Allein das freute Marie ungemein.
    Unbehelligt und ohne Zwischenfälle waren sie in nur einer Stunde bis Böblingen gelangt. Wobei Marie in den dichten Wäldern des Schönbuchs, dazu noch im fahlen Zwielicht des anbrechenden Tages, fast gestorben wäre vor Angst. Nicht so Irmel. Wie ein Wolf seiner Fährte folgte sie einem unsichtbaren Wegenetz, das nur sie allein kannte. Und wie ein Tier des Waldes schien sie sich weder vor knackenden Zweigen noch vor kreischenden Rabenvögeln zu fürchten. Dem Himmel sei Dank waren auf dem Fahrweg, den sie dann am frühen Morgen erreichten, erstaunlich viele Menschen unterwegs, und je näher sie Stuttgart kamen, umso mächtiger wurde der Menschenstrom. Da vermochte Marie endlich aufzuatmen und sich dem Zauber des größten Abenteuers ihres zwölfjährigen Lebens hinzugeben.
    Was sie hier in der Residenzstadt schließlich zu sehen bekamen, würde ihnen in ihrem elenden Dorf keiner glauben. Die Stadt platzte aus allen Nähten, so viel Volk war auf den Beinen. Aus dem ganzen Land war man gekommen, um der neuen Herzogin zu huldigen – oder auch, weil man sich ein Geschäft versprach. Überall in den Gassen wimmelte es von Vaganten, Gauklern und Taschenspielern, die ihre Künste und Kniffe darboten, von Trommlern, Pfeifern und Sängern, von fahrenden Scholaren, Bettelmönchen und Wanderpredigern. Krüppel streckten ihre schmutzigen Hände nach Almosen aus, reisende Garköche priesen lautstark ihre überteuerten Suppen, Dirnen im Flüsterton ihre Liebesdienste, und mitten im größten Gedränge versuchten Taschendiebe ihr Glück.
    Zu Maries Erstaunen hatten die Torwächter sie alle ohneviel Aufhebens in die Stadt gelassen, mit freundlichem Gruß und lächelndem Gesicht. Auch jetzt, zur Mittagsstunde, strömten immer noch mehr Neugierige zu den Toren herein. Viele hielten kleine Geschenke in den Händen oder Sträuße mit den ersten Veilchen und
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