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Brandstifter - Paretsky, S: Brandstifter - Burn Marks

Brandstifter - Paretsky, S: Brandstifter - Burn Marks

Titel: Brandstifter - Paretsky, S: Brandstifter - Burn Marks
Autoren: Sara Paretsky
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1 Weckruf
    Wir saßen in der Falle, meine Mutter und ich, in ihrem Schlafzimmer, dem winzigen Raum im oberen Stock unseres alten Hauses an der Houston Avenue. Unten bellten und kläfften die Hunde, die uns nachstellten. Gabriella war vor den Faschisten aus ihrer italienischen Heimat geflohen, aber sie verfolgten sie bis nach Südchicago. Das Hundegebell steigerte sich zu ohrenzerfetzendem Geheul, das die Schreie meiner Mutter noch übertönte.
    Ich setzte mich auf. Es war drei Uhr morgens, und jemand lehnte sich gegen die Klingel. Vom aufdringlichen Realismus des Traums war ich naßgeschwitzt, und ich zitterte.
    Das hartnäckige Klingeln rief die Zeit meiner Kindheit wieder herauf: wie oft hatten Telefon oder Türglocke meinen Vater geweckt und zu einem dringenden Polizeieinsatz gerufen. Meine Mutter und ich sind immer aufgeblieben und warteten auf seine Rückkehr. Obwohl mich die Furcht aus ihren glühenden dunklen Augen anstarrte, wollte sie sich ihre Angst nicht anmerken lassen; jedesmal machte sie mir in der Küche süßen Kinderkaffee – einen Eßlöffel Kaffee mit Milch und Kakao – und erzählte mir abenteuerliche italienische Volksmärchen, von denen ich Herzrasen bekam.
    Ich zog Sweatshirt und Shorts über und fummelte an meinen Türschlössern herum. Das Klingeln hallte hinter mir her, als ich die drei Treppen zum Hauseingang hinunterstolperte.
    Meine Tante Elena stand auf der anderen Seite der Glastür und drückte den Finger entschlossen auf den Klingelknopf. Um die Schultern trug sie als wenig kleidsames Cape eine verblichene Steppdecke. An der Mauer lehnte ein Matchsack aus Vinyl; ein violettes Nachthemd quoll oben heraus. Ich glaube nicht an Vorahnungen oder Psi, aber ich wurde das Gefühl nicht los, der Traum – ein vertrauter Alptraum aus meiner Kindheit – sei von düsteren Vibrationen ausgelöst worden, die Elena in mein Schlafzimmer schickte.
    Elena, die kleine Schwester meines Vaters, war von jeher der Problemfall der Familie gewesen. »Sie trinkt ein bißchen, wißt ihr«, hatte meine Großmutter in besorgtem Flüsterton mitgeteilt, als Elena bei einem Thanksgiving-Essen weggesackt war. Mehr als einmal weckte ein verlegener Streifenpolizist meinen Vater um zwei Uhr morgens, um ihm mitzuteilen, Elena sei eingebuchtet worden, weil sie auf der Clark Street auf Freierfang gegangen war. In solchen Nächten gab es keine Märchen in der Küche. Meine Mutter schickte mich mit einem leisen Kopfschütteln wieder ins Bett, während sie sagte: »Das liegt in ihrem Wesen,
cara,
wir dürfen sie nicht verurteilen.«
    Als meine Großmutter vor sieben Jahren gestorben war, hatte Peter, der überlebende Bruder meines Vaters, Elena seinen Anteil am Bungalow in Norwood Park geschenkt, unter der Bedingung, daß sie ihn nie wieder um etwas bitten sollte. Wohlgemut unterschrieb sie die Papiere, aber vier Jahre später war sie den Bungalow wieder los: Ohne mit mir oder Peter zu sprechen, hatte sie ihn als Sicherheit in ein abenteuerliches Bauprojekt eingebracht. Als sich die windige Firma verflüchtigt hatte, war Elena der einzige Geschäftspartner, den das Gericht auftreiben konnte – also wurde ihr Haus konfisziert und verkauft, um die Schulden zu bezahlen.
    Meiner Tante blieben dreitausend. Davon und von ihrer Rente hatte sie in einer Pension an der Kreuzung zwischen Cermak Road und Indiana Avenue gelebt, hin und wieder ein bißchen Siebzehn und Vier gespielt und es, wenn die Rentenschecks kamen, immer mal wieder mit der alten Masche probiert. Die jahrelange Trinkerei hatte ihr schmale Furchen in Kinn und Stirn gegraben, aber ihre Beine waren bemerkenswert schön geblieben.
    Sie sah mich durch die Glastür und nahm den Finger vom Klingelknopf. Als ich die Tür öffnete, legte sie die Arme um mich und küßte mich begeistert.
    »Victoria, Herzchen, du siehst großartig aus!«
    Der bittere, hefige Gestank von abgestandenem Bier umhüllte mich. »Elena – was zum Teufel machst du hier?«
    Der üppige Mund schmollte. »Baby, ich brauche einen Schlafplatz. Ich bin verzweifelt. Die Bullen wollten mich in ein Asyl bringen, aber natürlich habe ich an dich gedacht, und also haben sie mich hierhergefahren. Ein
wirklich
netter junger Mann mit einem absolut hinreißenden Lächeln. Ich habe ihm alles über deinen Paps erzählt, aber damals war er noch ein kleiner Junge, natürlich hat er ihn nie kennengelernt.«
    Ich knirschte mit den Zähnen. »Was ist mit deiner Pension passiert? Haben sie dich rausgeschmissen, weil du
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