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Das Mädchen in den Wellen

Das Mädchen in den Wellen

Titel: Das Mädchen in den Wellen
Autoren: Heather Barbieri
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zwei Jahren gestorben. An Lungenkrebs.«
    »Tut mir leid.« Nora berührte ihren Arm.
    »Sie ist jetzt an einem besseren Ort.«
    Ella und Annie tauchten zwischen den Felsen auf, wo sie Spion gespielt hatten. »Was für hübsche Mädchen. McGanns, das sieht man auf den ersten Blick.« Mrs. Clennon steckte den Schlüssel ins Schloss. »Ich habe Maire gesagt, sie soll das Schloss auswechseln lassen, aber sie mag die alten Schlüssel. Auf dem Weg hierher müsstet ihr an Maires Haus, Cliff House, vorbeigekommen sein. Das hat dein Urgroßvater gebaut, als die Familie sich hier eingelebt hatte. Anfangs haben sie in diesem Cottage gewohnt. Es gibt auch eine Fischerhütte ein Stück weiter die Landzunge rauf, noch hinter dem Haus von Maire.« Sie deutete nach Norden. »Betonung auf Hütte .« Sie mühte sich ab, die Tür zu öffnen. »Man braucht ja fast den Schlüsseldienst, um in dieses Cottage zu kommen.«
    »Oder muss Fassadenkletterer sein«, meldete Annie sich zu Wort.
    »Stimmt!«, meinte Mrs. Clennon lachend. »Geschafft.«
    Beim Eintreten musste Nora niesen, als der Geruch von Staub ihr in die Nase stieg, obwohl das Cottage offenbar erst kurz zuvor geputzt worden war. Das weiß gestrichene Innere war schlicht und hell, der Blick durch das große Panoramafenster im Hauptraum grandios. Nora erinnerte sich, wie sie als kleines Mädchen, die Arme auf dem Fensterbrett, an stürmischen Nachmittagen hier gestanden und den Wellen zugesehen, wie sie die Fensterscheibe angehaucht und mit den Fingerspitzen Muster darauf gezeichnet hatte.
    Mrs. Clennon eilte geschäftig herum, öffnete Vorhänge, drehte Wasserhähne auf, schaute in den Kamin. »Die ersten Bewohner seit fünfunddreißig Jahren, und dann gleich Familie. Was für eine Freude. Maire hat, glaube ich, vor Kurzem den Kaminkehrer kommen lassen. Wir wollen ja nicht, dass du beim Feuermachen gleich das Cottage niederbrennst, oder?«
    »Es gibt keinen Fernseher«, stellte Ella enttäuscht fest.
    »Maire hat einen«, erklärte Mrs. Clennon. »Ihr könnt zu ihr gehen. Leider ohne Kabelanschluss. Ich schau mir gern die Wiederholungen von Sex and the City am Sonntagabend an und hab meinen Mann dazu gebracht, eine Satellitenschüssel zu besorgen, damit er seinen Fußball gucken kann und ich meine Schmonzetten.«
    »Was sollen wir ohne Fernseher machen?«, zischte Ella, als Mrs. Clennon außer Hörweite war.
    »Eure Fantasie benutzen«, antwortete Nora.
    »Sie hat keine Fantasie«, sagte Annie. »Sondern gesunden Menschenverstand. Behauptet sie jedenfalls.«
    »Dann sollte sie sich welche zulegen«, meinte Nora.
    Mrs. Clennon überprüfte die Lichtschalter. »Scheint alles zu funktionieren, Gott sei Dank, aber wollen wir’s mal nicht verschreien. Ein paar neue Glühbirnen könnten nicht schaden. Und die Stromversorgung ist nicht sonderlich zuverlässig. Eine der Schattenseiten des Insellebens.«
    Nora ließ die Finger über den Türrahmen der Küche gleiten, auf dem die Tintenstriche, die Maeve angebracht hatte, um Noras Größe zu messen, noch deutlich zu sehen waren.
    »Warst du wirklich mal so klein?«, fragte Annie und las die Daten und Zahlen vor.
    »Ja«, antwortete Nora. »Kaum zu glauben, was?« Bei ihrem letzten Aufenthalt im Cottage hatte sie das Leben noch aus der Kinderperspektive betrachtet. Im Erwachsenenalter erschien ihr alles bescheidener, kleiner, gleichzeitig vertraut und fremd.
    »Immerhin sind keine Rohre geplatzt«, stellte Mrs. Clennon fest. »Nach einem langen Winter kann man das nie wissen. Manchmal wird’s erst im Mai wieder warm. Maire hat Mausefallen aufgestellt – außerdem werden Flotsam und Jetsam ihre Runden drehen.«
    Nora sah sie fragend an.
    »Die Katzen. Sie sind halb wild. Wenn du sie mit Fisch köderst, sind sie bereit, die örtliche Nagerpopulation in Schach zu halten. Verwöhn sie nicht zu sehr, sonst nutzen sie’s aus. Sind schlaue Viecher. Hier ist Treibholz für den Kamin. In der Nacht kann es ziemlich kühl werden, sogar im Sommer.« Sie breitete Decken und Bettzeug auf die nackten Matratzen, bevor sie sich auf den Weg ins Wohnzimmer machte, um den Kamin anzuschüren.
    Es gab zwei Schlafzimmer. Noras altes Zimmer, das die Mädchen sich teilen würden, ging auf eine Wiese und ein Wäldchen mit Fichten und Tannen, über deren Wipfeln das Dach von Maires Haus zu erkennen war. Auf dem Bett saß wie früher ein Teddybär. »Das ist Siggy«, stellte Nora ihn Annie vor, erstaunt darüber, wie schnell ihr der Name wieder einfiel. »Er
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