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Das Mädchen in den Wellen

Das Mädchen in den Wellen

Titel: Das Mädchen in den Wellen
Autoren: Heather Barbieri
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einmal um eine Unterkunft im Ort kümmern.
    Als sie von dem Felsvorsprung herunterkletterte, kam mit stotterndem Motor ein Wagen um die Kurve. Eine Frau mit kurzen, stacheligen Haaren kurbelte das Fenster ihres mit Rostflecken übersäten Volvo aus den sechziger Jahren herunter, der im Leerlauf ruckelte, als hätte er einen epileptischen Anfall. »Hallo, hallo. Ich bin Polly Clennon, euer persönliches Empfangskomitee. Ich habe euch zugewinkt, wie ihr vorhin durch den Ort gefahren seid, aber ihr habt mich nicht gesehen. Wahrscheinlich habt ihr im Moment andere Sorgen. Maire hat mir den Schlüssel gegeben. Sie ist heute im Norden der Insel. Hoffentlich wartet ihr noch nicht so lange.« Mrs. Clennon sprach in leicht singendem Tonfall wie alle Inselbewohner, deren irische Vorfahren die felsigen Gestade von Burke’s Island nach ihrer Flucht vor der großen Hungersnot in ihrer Heimat besiedelt hatten.
    »Wir sind gerade erst angekommen«, sagte Nora und folgte dem ruckelnden Fahrzeug zum Cottage.
    »Maire hätte den Schlüssel für euch unter den Fußabstreifer legen sollen«, erklärte Mrs. Clennon, während sie die Tür auf der Fahrerseite zuschlug. »Nicht dass wir hier absperren würden. Es hat nur so lange niemand mehr im Cottage gewohnt. In der Eile muss sie es vergessen haben.«
    »Ist alles in Ordnung mit ihr?«
    »Ja, schon. Sie ist als Hebamme der Insel viel unterwegs. Dir hat sie auch auf die Welt geholfen.«
    Davon wusste Nora nichts. Ihr Vater hatte es ihr nicht erzählt.
    »War ganz schön aufregend.« Mrs. Clennon plapperte weiter, bevor Nora Fragen stellen konnte. »Und jetzt ist unsere Nora eine erwachsene Frau. Wahrscheinlich erinnerst du dich nicht mehr an mich. Ich hab manchmal auf dich aufgepasst. Maeve war immer auf Achse, sie ist nie gern an einem Fleck gewesen. Du warst noch ein kleines Mädchen, wie ihr damals hier weg seid. Aber jetzt bist du wieder da. Keine Ahnung, warum Maire nicht früher gesagt hat, dass du kommst. Na ja, sie ist nicht sonderlich gesprächig, und ich rede meistens genug für uns beide.« Sie ließ sich tatsächlich kaum Zeit zum Luftholen. Als Auktionatorin hätte sie sich gut gemacht. »Tut mir leid, dass ich euch so lange in der Kälte habe warten lassen. Man unterschätzt die Entfernungen auf der Insel leicht. Die Straßen sind, gelinde gesagt, schmal und kurvig.«
    »Kein Problem. Außerdem habe ich den Eindruck, dass es wärmer wird«, beruhigte Nora sie.
    »Prima, das ist die richtige Einstellung. Leider können wir hier nicht gerade den Club Med bieten. Vermutlich bist du Besseres gewöhnt.«
    Bankette und Cocktailpartys. Das kleine Schwarze und das Ballkleid. Klappernde Absätze auf hochglanzpolierten Böden, Gemurmel und Klatsch, klirrende Champagnergläser mit Lippenstiftspuren, leise in Hosentaschen klimpernde Münzen und Glücksarmbänder. Jene Tage erschienen ihr nun wie ein ferner Traum, als hätte jemand anders sie erlebt. Im Vergleich dazu war sie jetzt in der kühlen Luft, unter dem atemberaubend blauen Himmel, hellwach. »Ich bin dankbar für die Ruhe hier.«
    Mrs. Clennon, der trotz ihres unablässigen Geplappers nur wenig entging, bedachte sie mit einem neugierig-mitfühlenden Blick. »Ja, kann ich mir vorstellen. Traurig, wenn ein Mann sich aus den falschen Gründen für John F. Kennedy hält.«
    »Das hat sich schon bis hierher rumgesprochen? Wahrscheinlich sind die Schlagzeilen mit der wöchentlichen Fähre rübergekommen.« Portakinney war ein kleiner Ort und so ein Skandal ein gefundenes Fressen.
    »Keine Sorge. Ich hab alle Zeitungen weggeworfen und den Leuten von der Insel erzählt, der Lieferwagen hätte eine Panne gehabt – was stimmt, allerdings nicht so lange, wie sie dachten. Ich bin die hiesige Postmeisterin und kriege alles mit, was per Post reinkommt oder rausgeht. Um dich und Maire zu schützen, habe ich die Dinge in die Hand genommen.« Mrs. Clennon legte einen Finger an die Lippen. »Was da drüben passiert ist«, sagte sie und deutete in Richtung Festland, »bleibt unser Geheimnis.«
    Obwohl Nora ihre Diskretion zu schätzen wusste, fragte sie sich, ob Geheimhaltung möglich war. Bestimmt hatten einige Bewohner der Insel Internetanschluss. »Du hast meine Mutter gekannt?«, fragte sie.
    »Nicht gut«, antwortete Mrs. Clennon eine Spur zu hastig. »Ich war damals kaum ein Teenager, drei Jahre jünger als sie, und bin nicht mit ihr und ihren Freunden unterwegs gewesen, anders als meine Schwester, Gott hab sie selig. Die ist im April vor
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