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Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes
Autoren: Axel S. Meyer
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Ruck aus der bluttriefenden Hand ziehen, doch Hakon hielt sie fest umklammert. Der Graf glotzte ihn an. Sein Blick flackerte.
    Darauf hatte Hakon gehofft. Der Graf hatte für einen Augenblick die Kontrolle verloren.
    Unterschätze deinen Feind niemals, dachte Hakon.
    Er zog sich an der Klinge hoch. Spürte, wie sich die Schneide in seine Finger fraß. Er schnellte vor und rammte seinen Kopf in den Bauch des Grafen. Der Mörder taumelte einen Schritt rückwärts, stolperte über den Königssohn und verlor das Gleichgewicht. Mit dem Hinterkopf prallte er gegen die Wand und ging zu Boden. Hakon setzte nach und trat ihn gegen die Brust. Der Graf stieß einen Laut aus, der wie eine platzende Fischblase klang. Aber er hielt noch immer das Schwert fest.
    Wo war das Messer? Hakon sah den Königssohn auf allen vieren zum Fenster kriechen. Der Rabe war wieder verschwunden. Endlich entdeckte Hakon das Messer unterhalb der Glocke auf dem Boden, vier, fünf Schritt entfernt. Zu weit.
    Der Graf rappelte sich wieder auf.
    Hakon wirbelte herum. Dann eben ohne Messer. Er nahm Anlauf und sprang mit den Knien voran auf die Brust des Grafen. Durch die Wucht des Aufpralls brachen mehrere Rippen. Der Graf brüllte vor Schmerzen. Hakon drückte ihm mit der rechten Hand die Kehle zu, während er versuchte, mit der linken das Schwert auf den Boden zu pressen.
    Das Gesicht des Grafen lief rot an, bis sein Blick an Hakon vorbei auf das Fenster fiel und seine Miene erstarrte.
    «Nein! Nicht …», quollen die Worte mit der letzten Atemluft aus seiner Kehle. Das Schwert entglitt seiner Hand.
    Irgendetwas hatte ihn so sehr entsetzt, dass er für den Moment sogar seinen Gegner zu vergessen schien.
    Hakon folgte dem Blick und sah den Königssohn am Fenster stehen, wo er sich am Banner zu schaffen machte. Er hatte bereits zwei der vier Haken gelöst, und jetzt riss er es vom dritten ab.
    Hakon spürte einen Stich im rechten Oberschenkel, gefolgt von einem brennenden Schmerz. Bevor er reagieren konnte, stieß der Graf ihn von sich weg. Er hatte ein kleines Messer, das offenbar unter seiner Kleidung versteckt gewesen war.
    Der Graf sprang über Hakon hinweg zum Fenster und zerrte den Jungen vom Banner fort. Doch es war zu spät. Eine Böe fauchte um den Turm und riss das Tuch vom letzten Haken.
    Hakon kam auf die Knie. Sein Mittelfinger hing nur noch an dünnen Sehnen. Der Stoff seiner Hose färbte sich rot. Aber es war keine tiefe Wunde. Er nahm das Schwert und setzte dem Grafen nach, der wie erstarrt hinter dem Banner herschaute. Es schwebte für einen kurzen Moment unerreichbar vor dem Fenster. Dann wurde es von einer weiteren Böe gepackt, blähte sich auf, drehte sich und fiel dann in die Tiefe.
    Sofort riss sich der Graf die Fibel von der Schulter und nahm den Mantel ab. Offenbar wollte er ihn ins Fenster hängen, damit seine Männer nicht zu kämpfen aufhörten.
    Hakon holte mit dem Schwert aus. Bevor er jedoch zuschlagen konnte, drehte sich der Graf nach ihm um. Er hatte die Gefahr gewittert und schleuderte Hakon den Mantel entgegen. Der Stoff fiel über seinen Kopf und verdeckte ihm die Sicht. Blind hieb er mit dem Schwert um sich. Aber die Klinge zerschnitt nur Luft, bis sie etwas Hartes traf. Ein heller Ton hallte durch den Raum. Die Glocke! Er hatte die Glocke getroffen.
    Hakon zerrte den Mantel von seinem Kopf. Der Glockenklang verhallte, und der Wind rauschte in seinen Ohren. Er ließ das Schwert sinken. Blut tropfte von seiner linken Hand auf den staubigen Boden.
    Der Graf war verschwunden. Mit ihm der Königssohn.
     
    Hakon hastete zur Tür, konnte auf der Treppe aber niemanden sehen. Er machte kehrt und lief zurück zum Fenster, auch wenn es ihm unwahrscheinlich erschien, der Graf könnte sich mit seiner Geisel hinuntergestürzt haben.
    Im Atrium war eine heillose Panik ausgebrochen. Offenbar hatte der König das fallende Banner als Zeichen gedeutet, dass der Graf aufgeben wollte, und hatte seine Soldaten auf die Blutmäntel gehetzt, die sich erbittert zur Wehr setzten. Brüllend hackten und stachen sie mit Schwertern, Beilen und Lanzen auf die Angreifer ein. Das Bollwerk hielt nur wenige Augenblicke stand. Dann rollte die Übermacht der königlichen Soldaten über die Blutmäntel hinweg und wälzte sie in einem Sturm aus Blut und Todesschreien nieder.
    Schon hörte Hakon aus der Kirche die Rufe der eindringenden Männer. Er überlegte fieberhaft, wo der Graf abgeblieben sein könnte, und lief durch den Raum. Hinter der Glocke
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