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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris
Autoren: Ana Veloso
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wenn afrikanische Namen nicht richtig geschrieben waren und die schlichte Ausdrucksweise Imaculadas verfälscht wurde. Sie betete, dass dieser Leser berücksichtigen würde, dass sie ihr Bestes gab, um Imaculadas Schilderungen gerecht zu werden und dafür zu sorgen, dass ihr Schicksal nicht in Vergessenheit geriet.

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    M ein echter Name lautet Kasinda. Ich bin die neunte Tochter des angesehenen Häuptlings Mukua-nguzu und seiner dritten Ehefrau Nzinga. Ich war ein sehr schönes und sehr kluges Mädchen, so dass man mich im Alter von 14 Jahren dem stolzen Krieger Uanhenga zur Frau gab. Damit hatte ich eine viel bessere Partie gemacht als meine älteren Schwestern, doch das Unheil, das daraus hervorgehen sollte, war mir damals noch nicht bewusst.
    Uanhenga war ein guter Ehemann. Er schlug mich nur, wenn ich ihm Anlass zu ernsthaftem Kummer gegeben hatte, und er wohnte mir jede Nacht bei, wie es seine Pflicht war. Ich war ihm treu ergeben und schenkte ihm nach neunmonatiger Ehe seinen ersten Sohn. Es war ein starker, gesunder Junge, den wir Chilala nannten. Ich liebte dieses Kind mehr, als gut für mich war. Ich vergötterte Chilala und schenkte ihm mehr Zuwendung als jedem anderen der drei Kinder, die ich in den ersten Jahren unserer Ehe gebar. Es waren zwei weitere Söhne und eine Tochter.
    Uanhenga sorgte gut für uns. Auch hatten wir das Glück, von Dürren oder Überschwemmungen verschont zu bleiben, so dass alle vier Kinder gesund blieben und prachtvoll gediehen. Uanhenga hätte sich weitere Ehefrauen nehmen können, doch er wollte keine außer mir, was mich mit großem Stolz erfüllte.
    Trotz meiner Jugend gehörte ich bald zu den angesehensten Frauen unseres Krals, und das nicht nur wegen meiner Position als Ehefrau Uanhengas. Ich war sehr tüchtig, wirtschaftete umsichtig und legte genügend Vorräte für schlechtere Zeiten an. Ich war bewandert in der Kunst des Heilens und in der Gewinnung von Palmwein. Ich war außerdem eine gute Spurenleserin, so dass ich einmal unser Dorf davor bewahrte, von einem einzelgängerischen Elefantenbullen angegriffen zu werden. Daraufhin kam ich in den Ruf, eine Hellseherin zu sein. Ich ließ die Leute in dem Glauben. Natürlich konnte ich die Zukunft keineswegs vorhersagen, doch ich verfügte über eine gute Auffassungs- und eine noch bessere Kombinationsgabe. Wenn man darüber hinaus eine gewisse Kenntnis der Verhaltensweisen von Mensch und Tier besitzt, reicht das meist aus, um zu ahnen, was geschehen wird. Einzig bei meiner Schwester Thandeka haben mich meine vermeintlich hellseherischen Kräfte verlassen, ein Umstand, der mich meiner Familie beraubt hat und mich beinahe das Leben gekostet hätte.
    Ich befand mich im Busch an den Ufern des Cubango, wo ich nach einer seltenen Wurzel suchte, deren Saft bei Verdauungsstörungen half. Ich war ganz allein, einmal abgesehen von dem Säugling, den ich in einem Tragetuch eng an meinen Leib gewickelt hatte. Meine Suche schritt sehr erfreulich voran und wurde weder durch hungrige Geparden noch durch aufgeschreckte Schlangen vereitelt. Ich summte eine Melodie vor mich hin und dankte meinem Orixá für das Glück, das mir beschieden war. Ich nahm mir vor, ihm noch am selben Abend ein Opfer darzubringen, damit er mir weiter wohlgesinnt sein möge.
    Plötzlich wurden die Geräusche des Waldes, die ich stets als beruhigend empfunden hatte, von einem anderen Laut überlagert. Ein Mensch rannte auf mich zu, stolpernd und keuchend. Ein Mensch, der sich offenbar in Gefahr befand, denn unter normalen Umständen bewegten wir Leute aus Cambundi uns beinahe geräuschlos. Die Vögel verstummten, das Rascheln in den Bäumen wurde leiser, und dann stand auf einmal meine Schwester vor mir.
    »Schnell, Kasinda, deinem Sohn geht es nicht gut! Chilala wäre beinahe ertrunken, weiter unten am Flussufer bei dem großen Affenbrotbaum. Komm schnell, damit wir ihn gemeinsam heimtragen können.«
    Vor Schreck ließ ich den Beutel fallen, in dem ich die Wurzeln gesammelt hatte. Ich war so erschüttert, dass mein Verstand vorübergehend aussetzte. Nicht einen Moment lang fragte ich mich, warum meine Schwester im Busch nach mir gesucht hatte, wo doch das Dorf viel näher gewesen wäre, um Hilfe zu holen. Ebenso wenig zweifelte ich am Wahrheitsgehalt ihrer Aussage, obwohl doch ein Vierjähriger, den ich obendrein in der Obhut meiner Mutter gelassen hatte, kaum allein zum Fluss geschlendert sein konnte. Ich folgte Thandeka schweigend. So schnell unsere Füße uns
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