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Das Licht ferner Tage

Das Licht ferner Tage

Titel: Das Licht ferner Tage
Autoren: Arthur C. Clarke , Stephen Baxter
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gesungen wurde. Diese Show hieß Our World. Ja, so war es. Daher habe ich auch den Namen für meine Firma. Ich weiß, es klingt etwas sentimental – aber als ich mit zehn Jahren die Aufzeichnung dieses Ereignisses sah, wusste ich sofort, was ich mit meinem Leben anfangen würde.«
    Sentimental stimmt, sagte Kate sich, aber unbestreitbar effektiv; das Publikum starrte nämlich gebannt auf Hirams riesiges Portrait, während die Musik eines Sommers, der siebzig Jahre zurücklag, in der Cafeteria widerhallte.
    »Und nun«, sagte Hiram mit schauspielerischer Verve, »glaube ich, dass ich mein Lebensziel erreicht habe. Ich würde vorschlagen, ihr sucht euch etwas zum Festhalten – vielleicht sogar die Hand des Nachbarn…«
    Der Boden wurde transparent.
    Kate taumelte, als sie plötzlich über leerem Raum hing. Die Augen wurden getäuscht, obwohl der Boden unter ihren Füßen durchaus fest blieb. Nervöses Gelächter kam auf, ein paar Schreie wurden ausgestoßen, und das leise Klirren zu Boden fallender Gläser ertönte.
    Zu ihrer Überraschung stellte Kate fest, dass sie Bobbys Arm gepackt hatte. Sie spürte dort einen festen Muskelstrang. Er hatte ihre Hand auf seine gelegt, anscheinend aber ohne Hintergedanken.
    Sie ließ die Hand, wo sie war. Fürs erste jedenfalls.
    Sie schien über einem Sternenhimmel zu schweben, als ob die Cafeteria in den Weltraum versetzt worden wäre. Die vor einem schwarzen Hintergrund angeordneten ›Sterne‹ waren in ein kubisches Gitter integriert und durch dünne Stränge aus vielfarbigem Licht miteinander verbunden. Beim Blick ins Gitter mit den perspektivisch verkürzten Bildern hatte Kate das Gefühl, in einen unendlichen Tunnel zu schauen.
    Während die Musik noch spielte, und zwar so kunstvoll, dass sie von der Originalaufnahme kaum zu unterscheiden war, sagte Hiram: »Sie schauen nicht etwa nach oben in den Himmel oder in den Weltraum. Stattdessen schauen Sie nach unten, in die kleinsten Strukturen der Materie.
    Dies ist ein Diamantkristall. Die weißen Punkte, die Sie erkennen, sind Kohlenstoffatome. Die Stränge sind die Valenzkräfte, die sie zusammenhalten. Ich lege Wert auf die Feststellung, dass das, was Sie gleich sehen werden, zwar verstärkt, aber keine Simulation ist. Mit moderner Technologie – Rastertunnelmikroskopen zum Beispiel – sind wir in der Lage, sogar auf der atomaren Ebene Bilder von Materie zu erzeugen. Alles, was Sie sehen, ist real. Und nun geht es weiter.«
    Holografische Abbildungen wallten auf und füllten den Raum aus, als ob die Cafeteria und alle Anwesenden im Gitter versinken und dabei schrumpfen würden. Kohlenstoffatome blähten sich wie fahle graue Ballons über Kates Kopf auf und enthüllten vexierbildartige Strukturen im Innern. Der sie umgebende Raum funkelte. Lichtpunkte flackerten auf und verloschen genauso schnell, wie sie entstanden waren. Es mutete sehr ästhetisch an, als ob man durch eine Wolke aus Lametta geflogen wäre.
    »Sie sehen den Weltraum«, sagte Hiram. »Leeren Raum. Dies ist die Materie, die das Universum ausfüllt. Nur dass wir den Weltraum nun mit einer Auflösung sehen, die die Leistungsfähigkeit des menschlichen Auges bei weitem übertrifft und eine Ebene erreicht, bei der die einzelnen Elektronen sichtbar werden – und auf dieser Ebene werden die Quanteneffekte wirksam. Leerer Raum ist in Wirklichkeit voll, voll mit fluktuierenden Energiefeldern. Und diese Felder manifestieren sich wiederum als Partikel: Photonen, Elektron-Positron-Paare, Quarks. Sie erlangen eine streiflichtartige Existenz durch geliehene Masse-Energie und verschwinden wieder in Übereinstimmung mit dem Energieerhaltungssatz. Wir Menschen sehen Raum und Energie und Materie aus weit überhöhter Position, wie ein übers Meer fliegender Astronaut. Wir sind zu hoch, um die Wellen und die Schaumkronen zu erkennen. Dennoch sind sie da.
    Aber wir sind noch nicht am Ende unsrer Reise angelangt. Haltet euch an den Drinks fest, Leute!«
    Der Maßstab explodierte erneut. Kate sah, dass sie ins glasige Zwiebelschalen-Innere eines Kohlenstoffatoms flog und erkannte einen festen leuchtenden Knoten im Zentrum, eine Traube deformierter Sphären. War das vielleicht der Nukleus…? – Und waren diese inneren Sphären etwa Protonen und Neutronen?
    Während der Nukleus auf sie zuflog, hörte sie einige Leute aufschreien. Sie hatte noch immer Bobbys Arm gepackt und versuchte ruhig zu bleiben, als sie hineingeschleudert wurde.
    Und dann…
    … gab es keine Gestalt
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