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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition)
Autoren: Cyrus Darbandi
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war vor ihm gegangen. Endlich.
    Der Polizist sagte etwas zu ihm. Für einen Augenblick kehrten die Bruchstücke der fremden Sprache wie ein verspätetes Geschenk noch einmal zu ihm zurück. Er hörte die Worte, und er verstand sie jetzt auch.
    Der Polizist sagte zu ihm:
    »Es ist gut jetzt. Lass los.«
    Dann verließ er ebenfalls den Raum und schloss leise die Türe hinter sich.
    Grischa war alleine.
    Er schloss die Augen und ruhte ein wenig. Er spürte keine Schmerzen, sie hatten ihn wirklich optimal mit allem eingestellt. Etwas Kühles legte sich auf sein Gesicht. Er öffnete die Augen, und das Zimmer, das im Halbdunkel eines sich durchdas strenge Winterwetter schnell verdüsterten Tages lag, hellte sich mit einem Mal auf. Grischa blickte zum Fenster, aber kein Lichtstrahl bohrte sich von außen in den Raum. Das Licht kam aus einer Ecke des Zimmers. Es wanderte bis zur Decke hoch, eine goldene, wabernde Masse aus Licht. Er hatte nie zuvor etwas so Reines und Wahrhaftiges gesehen. Es nicht mal für möglich gehalten in der Finsternis, die in ihm war.
    Ein Mann bewegte sich durch das Zimmer auf ihn zu. Sein durchsichtiger, flüchtiger Körper hatte sich aus dem Licht an der Wand geschält. Zuerst dachte Grischa, dass der Polizist, Robert Abrahams Bruder, noch einmal zurückgekommen war. Aber dieser Mann hier war ihm unbekannt. Er hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Grischa wusste nicht, ob er träumte oder halluzinierte oder ob sich ihm etwas Größeres offenbarte. Das Ende seiner Existenz. Das Ende der Zeit. Wo war Larissa? Er hatte sie erwartet, nicht einen Fremden aus Licht.
    In das eingefallene, todmüde Gesicht des Mannes im Bett schieben sich abwechselnd und sekundenkurz die Gesichter anderer Menschen, deren Geschichte sich dir im Moment ihres Erscheinens und Verlöschens offenbart. Ein Soldat in einer brennenden Stadt. Ein Verhörspezialist in einem Zimmer. Eine Journalistin in einem Fahrstuhl. Ihr streift einander wie Passanten im Vorübergehen und erkennt euch. Du beugst dich über den Mann, während sich seine Züge entspannen und das Licht wie eine goldene Flüssigkeit in ihn einsickert und ihn ausfüllt.
    Was? Was geschieht? Ein Schwall von Bildern; Grosny, Feuer in der Nacht, Rufe, da waren Männer, die nach ihm riefen, sie standen auf einem Hügel, und er war unten im Tal, er roch Heu im Sommer, der Geschmack von Weizen, der Wind raschelte durch die Baumkrone, in der er sich vor den anderen verborgen hielt, er schritt voran, und die blutigen Abdrücke seiner Füße markierten seine Wege.
    Es ist fast vorbei. Er weinte bei dem Gedanken. Da überkam ihn ein letzter Augenblick der Euphorie, und etwas in ihm begann matt zu leuchten und anzuschwellen und sich in ihm auszubreiten, bis es durch die Poren seiner Haut strahlte und seinen sterbenden Körper verließ und ihn emportrug; es gab keine Worte für diese Empfindung.
    Du legst deine Hand auf seine Augen und du löschst seinen Blick.
    Grischa erhob sich und ging davon.

KAPITEL
NEUNUNDVIERZIG
    Abraham landete am Abend des nächsten Tages in Heathrow. An einem der Ausgänge wartete ein schwarzer Mercedes mit dem Kennzeichen, das man ihm am Telefon durchgegeben hatte. Robert hatte ihm die Nummer hinterlassen, und Abraham diese angerufen. Jetzt war er hier, er und mit ihm das Geld.
    Im Fond saß er eingekeilt zwischen zwei Männern, deren undurchdringliche Mienen keine Zeichen sendeten. Sie durchsuchten ihn und die Tasche, die er bei sich trug. Ihren erwarteten Inhalt. Sie fanden nichts, was sie alarmiert oder nur beunruhigt hätte. Natürlich nicht.
    Niemand von ihnen redete. Das Reden war zuvor am Telefon mit dem Mann erledigt worden, der ihn zu Nagy brachte. Er saß neben dem Fahrer und nickte Abraham zu.
    Sie fuhren in Richtung der grundsanierten und in den frühen Abendstunden silbern in der regnerischen Dunkelheit funkelnden Docklands. Eine Menge Häuser, die sich in den Himmel bohrten, Glasfassaden und Lichter. Vor einem stiegen sie aus.
    »Hat er eines seiner Büros hier?«, fragte Abraham Nagys Handlanger. Ein passendes Büro zu einer passenden Firma. Wienannten die Russen die Kunst des Verschleierns, der Täuschung gleich noch mal?
    Maskirowka.
    Der Mann lachte. »Ihm gehört das Gebäude.«
    Leute wie Nagy zählen nicht nach, nie. Das erledigen andere. Abraham stand vor Nagy, der hinter einem schweren gläsernen Schreibtisch saß und ihn aufmerksam musterte. Er hatte ihm Platz angeboten, aber Abraham verzichtete darauf, ihm auf Augenhöhe zu
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