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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition)
Autoren: Cyrus Darbandi
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fuhr, die Finger feucht von Tränen.
    »O Mann«, sagte er.
    »Ja«, sagte Abraham.
    Der gab Robert die nötige Zeit, um den Inhalt zu verdauen. Also wieder Kaffee, ein neues Päckchen Zigaretten. Schweigen, und in dem Schweigen die langsamen Tage dieses einen Sommers, die Unermesslichkeit dieser Stunden, so präsent, als stünden die Bilder und Geräusche vor ihnen aufgereiht, als bräuchten sie nur danach zu greifen.
    »Es wird bei und mit ihm enden«, sagte Robert nach einer Weile.
    Er streckte seinen Körper aus, machte ihn lang und breit, sammelte neue Energie, lud sich auf, erneuerte seine Fähigkeiten; er wusste, Selina und er würden sie alle brauchen. Und neu anfangen. Ohne die Last der Toten auf ihrer beider Schultern. Denn im Gegensatz zu seinem Bruder, hatte er nicht vor, dem Ruf der Toten zu folgen.
    »Okay, lass uns hingehen, lass uns die Sache beenden, vielleicht fühlen wir uns dann besser, oder auch nicht.«
    »Ich dachte, du hast mit ihm abgeschlossen?«
    »Schon lange. Aber du hast es nicht.«
    Sie klopften nicht an. Wozu auch?
    Karl Abraham saß, den Rücken am Kopfkissen, in seinem Bett. Einst war er so groß und stark wie seine Söhne gewesen, jetzt hingegen wirkte er wie eine Puppe: geschrumpft, mit wächserner, trockener Haut, kahlköpfig, ausgezehrt, die Augen trübe. Ein Sterbender; und es war kein leichtes Sterben.
    Nun, bestimmt leichter als unter einem Messer, dachte Abraham und betrachtete die Schläuche und den Port im Körper seines Vaters, durch den die Schmerzmittel flossen.
    »Man hat mir gesagt, dass ihr kommt, ihr beide«, sagte ihr Vater mir raspelnder Stimme. »Ich konnte es nicht glauben … verständlicherweise.«
    Sie sagten nichts, standen nur da, unfähig, sich zu rühren, zu sehr im Bann dieses Momentes.
    »Wie geht es euch?«
    Robert und Frank sahen einander an. Die Situation war dermaßen unwirklich.
    Es war Robert, der vorpreschte.
    »Wir leben«, sagte Robert. »Wir sind am Leben und du stirbst, das ist eine Tatsache, die einzige, die ich akzeptiere.«
    Ihr Vater nickte. »Das habe ich mir wohl verdient.«
    »Ja, und du hast wirklich hart dafür geschuftet.«
    »Wieso seid ihr beide gekommen, wenn es sonst nichts mehr zu sagen gibt? Um mich sterben zu sehen?«
    »Das wäre ein Zuviel an Gefühl«, sagte Robert. »Aber im Prinzip liegst du schon völlig richtig.«
    Karl Abrahams Aufmerksamkeit richtete sich auf Frank.
    »Du siehst das natürlich genauso.«
    »Ich weiß nicht, was ich sehen oder denken soll«, sagte Abraham, »ich fühle mich in deiner Gegenwart furchtbar, weil ich mich die ganze Zeit, die wir jetzt hier bei dir sind, an ein anderes Leben erinnere.«
    »Ja, wir hatten auch schöne Zeiten.«
    »Ich dachte immer, du erklärst es uns irgendwie.«
    »Ich habe nichts mehr dazu zu sagen.«
    »Das kann ich nicht akzeptieren.«
    »Ich habe damit abgeschlossen.«
    »Mit dem Mord an drei Frauen.«
    »Das war ich nicht.«
    »Was?«
    »Das war ich nicht. Ich war nicht bei mir.«
    »Das hat dir schon vor dreißig Jahren keiner geglaubt.«
    »Erzähl mir von der Stadt in der Wüste, Junge.«
    Abraham prallte regelrecht vor diesen Worten zurück.
    Robert sagte: »Was hast du?«
    »Das kann nicht sein. Das kannst du nicht wissen.«
    Eine Art Lächeln überzog das eingefallene Gesicht Karl Abrahams, es sah so scheußlich aus wie all das der Mörder, denen er begegnet war, es unterschied sich in nichts von ihnen.
    Und da waren kleine, hinterhältige flitzende Bilder und Töne; eine helle und eine dunkle Sprache, weite, offene Räume und verbotene innere Labyrinthe, eine Sonne, die sich mit Blut füllte, ein Mond, der schwarz anlief.
    »Wir sind stärker miteinander verbunden, als du wahrhaben willst, Frank.«
    »Das scheint dir zu gefallen.«
    »Immerhin habe ich so etwas von dir.«
    Abraham trat ans Bett und sah seinem Vater in die Augen. Es waren dieselben Augen wie in seinen Träumen, derselbe dunkle Blick, der allerdings nichts mehr von seiner hypnotischen Wirkung auf ihn hatte.
    »In der ersten Zeit ohne dich und Mutter schrie ich jede Nacht. Ich fand keinen Schlaf, ich dachte, ich würde nie mehr schlafen. Ich wollte tot sein. Ich dachte, dass es eine gute Sache wäre: tot zu sein. Dorthin zu gelangen, wo Mutter war. Ich hörte mein Herz schlagen, es schlug im selben Takt wie deines, und das machte mir Angst. Ich dachte: Wenn es dasselbe ist wie deines, dann bin auch ich derselbe Mann wie du.«
    »Das tut mir leid«, sagte sein Vater.
    »Nein. Ich glaube, es
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