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Das Letzte Protokoll

Das Letzte Protokoll

Titel: Das Letzte Protokoll
Autoren: Chuck Palahniuk
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haben wollen, trink dir noch einen.
    Wenn sie dir kein Trinkgeld geben, noch einen.
    Diese Sommerfrauen. Mit ihrem dick aufgetragenen Eyeliner s e hen sie aus, als hätten sie Sonnenbrillen auf. Sie umrahmen ihre Lippen mit dunkelbraunem Konturenstift und wetzen den Lippenstift dazwischen beim Essen vol l ständig ab. Und dann sitzen da nur noch dünne Kinder um den Tisch, jedes mit einem Schmutzrand um den Mund. Ihre langen, krummen Fingern ä gel pastellfarben wie Wiener Mandeln.
    Wenn es Sommer ist und du dennoch den qualmenden Kamin befeuern musst, leg ein Kleidungsstück ab.
    Wenn es regnet und die Fenster im kalten Luftzug klappern, zieh dir was Zusätzliches an.
    Ein paar Drinks. Ein paar Aspirin. Und wieder von vorn.
    Wenn Peters Mutter mit eurer Tochter Tabbi herei n kommt und von dir erwartet, dass du deine Schwiegermutter und dein eig e nes Kind wie deren persönliche Skl a vin bedienst, nimm zwei Drinks. Wenn die beiden an Tisch acht sitzen und Oma Wilmot zu Tabbi sagt: »Deine Mutter könnte eine berühmte Künstlerin sein, wenn sie sich nur mal Mühe geben würde«, nimm einen Drink.
    Wenn die Sommerfrauen mit ihren Ringen und Anh ä ngern und Tennisarmbändern, alles mit Diamanten besetzt, die von So n nenschutzöl ganz stumpf und schmierig sind, wenn sie dich bi t ten, »Happy Birthday« für sie zu singen, nimm einen Drink.
    Wenn deine Zwölfjährige zu dir aufblickt und dich »Ma'am« statt »Mama« nennt...
    Wenn ihre Großmutter Grace sagt: »Misty, meine Liebe, du würdest zu mehr Geld und Ansehen kommen, wenn du wieder malen würdest...«
    Wenn der ganze Speiseraum das hört...
    Ein paar Drinks. Ein paar Aspirin. Und wieder von vorn.
    Immer, wenn Grace Wilmot sich zum Tee die extrateuren hauchdünnen Toastscheiben mit Rahmkäse und Ziege n käse und klein gehackten, zu einer Paste verriebenen Walnüssen bestellt, dann nur ein paar Bissen verzehrt, den Rest zurückg e hen und sich das und eine Kanne Earl Grey und ein Stück Karottenk u chen auf die Rechnung setzen lässt, und zwar auf deine Rec h nung, und du das erst merkst, wenn du wegen all dieser Abzüge nur fünfun d siebzig Cent auf deinem Lohnscheck hast und dem Hotel Waytansea am Ende der Woche nicht se l ten sogar noch Geld schuldig bist, und dir aufgeht, dass du wahrschei n lich bis ans Ende deines Lebens als eine Art Leibeigene in diesem Speis e raum gefangen sein wirst, genehmige dir fünf Drinks.
    Immer, wenn auf jedem einzelnen Goldbrokatstuhl im überfül l ten Speiseraum eine Frau von hier oder vom Fes t land sitzt und sie alle herummeckern, dass die Überfahrt mit der Fähre zu lange dauere und es nicht genug Parkplätze auf der Insel gebe und man früher nie fürs Mitta g essen habe reservieren müssen, und warum eigentlich manche Leute nicht einfach zu Hause bleiben könnten, weil das alles schlichtweg zu viel sei, all dieses Gedrä n gel und diese durchdringenden Stimmen, die nach dem Weg fr a gen oder wo man Sommerkleider in Größe 34 bekommt und Ka f feeweißer verlangen, und der Kamin trotzdem immer noch l o dern muss, weil die Tradition des Hotels es so will, zieh ein we i teres Kle i dungsstück aus.
    Wenn du jetzt nicht halb nackt und betrunken bist, hast du nicht richtig aufgepasst.
    Wenn Raymon, der Hilfskellner, dich im Kühlraum dabei e r wischt, wie du dir gerade eine Flasche Sherry an den Hals setzt, und sagt: »Misty, carino. Salud!«
    Wenn das geschieht, trink ihm mit der Flasche zu und sag: »Auf meinen hirntoten Mann. Auf die Tochter, die ich nie zu sehen bekomme. Auf unser Haus, das demnächst an die katholische Kirche geht. Auf meine übergeschnap p te Schwiegermutter, die an Sandwiches mit Brie und Frü h lingszwiebeln herumnagt...«, und dann sag: » Te amo, R a ymon.«
    Und nimm einen Extraschluck.
    Immer, wenn ein barsches altes Fossil aus einer anständigen I n selfamilie zu erklären versucht, dass sie eine Burton sei, ihre Mutter aber eine Seymour und ihr Vater ein Tupper und seine Mutter eine Carlyle, und dass sie daher irgendwie deine Kusine zweiten Grades sei, und dir, während du die schmutzigen Sala t teller abzuräumen ve r suchst, eine kalte, weiche, welke Hand auf den Unterarm legt und sagt: »Misty, warum malst du nicht mehr?«, und du siehst, wie du immer nur älter und älter wirst und dein ganzes Leben im Müllschlucker landet, nimm zwei Drinks.
    Auf der Kunstakademie bringen sie einem nicht bei, dass man nie, niemals irgendwem sagen darf, dass man Küns t ler werden will. Weil man einen
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