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Das Letzte Protokoll

Das Letzte Protokoll

Titel: Das Letzte Protokoll
Autoren: Chuck Palahniuk
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für den Rest deines L e bens damit quälen wird, wie gern man gezeichnet hat, als man noch jung war. Wie gern man damals gemalt hat.
    Ein paar Drinks. Ein paar Aspirin. Und wieder von vorn.
    Nur um das festzuhalten: Heute lässt deine arme Frau im Spe i seraum des Hotels ein Buttermesser fallen. Als sie sich bückt, um es aufzuheben, spiegelt sich etwas in der silbernen Klinge. Wö r ter, die an die Unterseite von Tisch sechs geschri e ben sind. Auf Händen und Knien hebt sie den Rand des Tischtuchs an. Zw i schen angetrockneten Ka u gummis und Popeln steht da auf dem Holz: »Lass dich nicht noch mal von ihnen reinlegen.«
    Mit Bleistift hat da jemand hingeschrieben: »Nimm i r gendein Buch aus der Bücherei.«
    Hausgemachte Unsterblichkeit eines Besuchers. Seine Nac h wirkung. Sein Fortleben nach dem Tod.
    Nur um das festzuhalten: Das Wetter heute ist teilweise durc h tränkt von gelegentlichen Verzweiflungs-und Wutau s brüchen.
    Die Nachricht unter Tisch sechs, die schwache Bleistif t schrift, ist unterschrieben mit Maura Kincaid.

29. Juni
Neumond
    Der Mann in Ocean Park geht an die Haustür und hat ein Weinglas in der Hand, das bis in Höhe seines Zeigefingers mit hell orangefarbenem Wein gefüllt ist. Er trägt einen weißen Fro t te e bademantel mit dem Namen »Angel« auf dem Kragen. Eine Goldke t te hat sich in seinem grauen Brusthaar verfangen, und er riecht nach Gipsstaub. In der anderen Hand hält er die Tasche n lampe. Der Mann trinkt den Wein bis zum Mittelfinger runter, sein Gesicht mit dem dunklen Stoppelkinn sieht aufgedunsen aus. Die A u genbrauen sind entweder gebleicht oder vollständig au s gezupft.
    Nur um das festzuhalten: So haben sie sich kennen g e lernt, Mr. Angel Delaporte und Misty Marie.
    Auf der Kunstakademie lernt man, dass Leonardo da Vincis Gemälde, die Mona Lisa, deswegen keine Auge n brauen hat, weil die das letzte Detail waren, das der Künstler angebracht hat. Er hat feuchte Farbe auf trockene aufgetragen. Im 17. Jah r hundert hat dann ein Restaurator das falsche Lösungsmittel benutzt und sie für immer we g gewischt.
    Gleich hinter der Haustür steht ein Kofferstapel, Koffer aus ec h tem Leder, und der Mann zeigt an ihnen vorbei, zeigt mit der T a schenlampe hinter sich ins Haus und sagt: »Sie können Peter Wi l mot ausrichten, mit der Grammatik hat er es nicht so.«
    Diese Sommerleute, Misty Marie erklärt ihnen, dass Zimmerer immer was ans Innere der Wände schreiben. Das ist doch ein alter Hut, seinen Namen und das Datum da reinzuschreiben, bevor man die Wand mit Gipsplatten verkleidet. Manchmal st e cken sie eine Zeitung von dem Tag da mit hinein. Es gibt auch die Tradition, eine Bier-oder Weinflasche einzumauern. Dachd e cker schreiben was aufs Gebälk, bevor sie es mit Teerpappe und Schindeln abdecken. Bauhandwerker schreiben was auf die Holzverkleidung, bevor sie die verschalen oder verpu t zen. Ihren Namen und das Datum. Irgendetwas von sich selbst, was jemand in der Z u kunft dann entdecken kann. Vielleicht einen Gedanken. Wir waren hier. Wir haben das gebaut. Eine Erinnerung.
    Sitten und Bräuche, Aberglaube, Fengshui - egal, wie du das nennst.
    Es ist eine Art von hausgemachter Unsterblichkeit.
    In der Kunstgeschichte lehrt man uns, Papst Pius V. habe El Greco aufgefordert, einige nackte Gestalten zu überm a len, die Michelangelo an die Decke der Sixtinischen Kapelle gemalt ha t te. El Greco erklärte sich einverstanden, aber nur, wenn er die g e samte D e cke übermalen dürfe. Man lehrt uns, El Greco sei auf Grund seines Astigmatismus berühmt geworden. Seine Me n schendarstellungen seien so verzerrt, weil er nicht richtig sehen konnte; deshalb hä t ten seine Gestalten so lange Arme und Beine, und der dramatische Effekt dieser Malweise habe ihn berühmt gemacht.
    Von berühmten Künstlern bis hin zu Bauarbeitern, wir alle wo l len unsere Signatur hinterlassen. Unsere Nachwirkung. Dein L e ben nach dem Tod.
    Wir alle wollen uns erklären. Niemand will vergessen werden.
    An diesem Tag in Ocean Park zeigt Angel Delaporte Misty das Esszimmer, die Vertäfelung und die blau g e streifte Tapete. Eine Wand hat in halber Höhe ein Loch, wellige Papierfetzen und Mörtelstaub.
    Maurer, sagt sie zu ihm, mörteln ein Amulett, einen T a lisman an einer Kette in den Kamin, um böse Geister d a von abzuhalten, durch den Rauchfang ins Haus zu kommen. Im Mittelalter ma u erte man in die Wände eines ne u en Gebäudes eine lebende Katze ein, das sollte Glück bringen. Oder eine
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