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Das Leben kleben

Das Leben kleben

Titel: Das Leben kleben
Autoren: Marina Lewycka
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Kopenhagener Miezekatzen einen Kloß im Hals habe und nach einem Taschentuch greifen muss, während Chaim zum Ende der Geschichte kommt. Ich kenne die Fotos der wandelnden Skelette in Bergen-Belsen, die Totenschädel, die grauenhaften Berge von Kinderschuhen. Ich weiß, all das ist geschehen, aber ich will daran glauben, dass auch etwas anderes möglich ist. »Danke, Chaim. Sie haben mir gesagt, was ich wissen wollte.«
     
    Es nieselt noch immer, als ich durch Islington Green zu Sainsbury's gehe. Um eins wird mich Rip auf dem Parkplatz abholen, so dass ich zwei Stunden zum Einkaufen habe. Er ist bei einem Treffen mit dem Team vom Finsbury Park Law Centre, wo er nächste Woche seinen neuen Job anfängt. Die Synergy Foundation hat ihn nicht genommen.
    Wenn man samstagmorgens lange genug bei Sainsbury's ist, hat man das Gefühl, der ganzen Welt zu begegnen - oder vielleicht füllt meine Fantasie die Lücken. Ich sehe denselben Verkäufer der Obdachlosenzeitung auf seinem Posten unter der Markise am Eingang, und dort ist auch der Mann mit dem blauen Reliant Robin, der am Stock die Straße überquert-. Das Boykottiert-israelische-Produkte-Mädchen ist da und wedelt mit ihrem Klemmbrett herum, auch wenn ihr Haar inzwischen länger ist und sie jetzt Unterschriften für eine Petition zum Schutz der Wale sammelt. Ben ist bei ihr - er kommt samstagmorgens öfter her -, und auch sein Haar ist länger. Er will sich Dreadlocks wachsen lassen und trägt immer noch das rote Kopftuch im Piratenstil. »Hallo, Mum!«
    Ich bleibe stehen, um ihre Petition zu unterschreiben, obwohl ich schon ein paarmal unterschrieben habe. Das Mädchen ist kleinlaut, vielleicht denkt sie, ich missbillige ihre Wechselhaftigkeit, aber ich lächele nur, denn inzwischen weiß ich, dass alles, Wale und Delphine, Palästinenser und Juden, streunende Katzen, Regenwälder, Herrenhäuser und Bergbaugemeinden, dass alles miteinander zu tun hat und von einer geheimnisvollen Kraft zusammengehalten wird - nennen Sie es Klebstoff, wenn Sie wollen.
    Als ich Bier für Rip in den Einkaufswagen lade, entdecke ich Mark Diabello und Cindy Baddiel, die Hand in Hand vor dem Weinregal stehen. Er trägt ein kariertes Hemd und beige Hosen, und ich bemerke, dass sich über seinem Gürtel eine kleine Wölbung bildet und sein Haar an den Schläfen grau wird, doch als er sich zu mir umdreht, spüre ich diese angenehme Wärme in der Beckengegend - ja, er ist immer noch der Held von
Das verspritzte Herz.
    »Hallo, Georgina!« Er begrüßt mich mit einem Kuss auf jede Wange, und Ms. Baddiel umarmt mich mit ihren weichen runden Armen. Sie sieht genauso aus wie immer. Heimlich suche ich nach Spuren von Velcro-Aufschürfungen an ihren Handgelenken - schäm dich, Georgie! -, aber sie sind rosig und unversehrt.
    »Danke für alles, was du getan hast, um das Haus eintragen zu lassen«, sage ich zu Mark. »Wie geht es euch so?«
    Vor ein paar Monaten war die Firma Wolfe & Diabello auf mysteriöse Weise von der High Street verschwunden und wurde durch eine andere namens Wolfe & Lee ersetzt. Mark erzählt, dass er jetzt eine Wohnungsgenossenschaft für Ex-Sträflinge leitet.
    »Es ist - wie soll ich sagen - befriedigender.«
    Der mineralische Unterton in seiner Stimme lässt mich erbeben.
    »Ich bin froh, dass alles so gut läuft.«
    »Pass auf dich auf«, sagen sie.
     
    Dann kommt mir jemand entgegen, den ich nicht sehen will. Es ist Mrs. Goodney, die ihren Einkaufswagen auf mich zuschiebt. Ich würde ihr am liebsten aus dem Weg gehen, doch der Gang ist zu schmal und ich kann nirgendwohin ausweichen, also bleibe ich einfach stehen und lächele.
    »Hallo«, sagt sie. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich Sie hier treffe.«
    »Nein. Ich auch nicht.« Ich überlege immer noch, ob ich freundlich sein soll oder nicht. »Wie läuft es so im Krankenhaus?«
    »Oh, das habe ich aufgegeben. Zu viel Stress. Keiner dankt einem irgendwas.«
    Sie seufzt. »Es sollte alles zu ihrem Besten sein, wissen Sie. Weltverbesserer wie Sie, Sie haben diese romantische Idee, dass alte Leute in ihren verfallenden dreckigen Häusern bleiben wollen, bis sie sterben. Aber das stimmt nicht. Sie sind glücklicher in einer kleinen Wohnung, die sich leicht heizen und sauber halten lässt, mit allen modernen Annehmlichkeiten. Natürlich ist der Umzug schwer. Vielleicht brauchen sie Hilfe. Doch sobald sie den Schritt getan haben, wollen sie nie zurück. Naja, ich habe jetzt ein kleines Nagelstudio in der Church Street oben in
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