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Das Leben kleben

Das Leben kleben

Titel: Das Leben kleben
Autoren: Marina Lewycka
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aber es passierte ungefähr so. Mit der Drossel fing es an. Von ihrem Ausguck in der Esche erspähte sie ein Stück Pitabrot, das auf den Boden gefallen war. Wonder Boy, der seine Lust befriedigt hatte, lauerte in den Büschen und beobachtete den Vogel. Als sich die Drossel zur Erde niederschwang, drückte Wonder Boy den Kopf an den Boden und ging mit zuckendem Schwanz in Angriffsposition. Der Vogel stürzte sich auf das Brot. Der Kater stürzte sich auf den Vogel. Ich packte den ersten Gegenstand, der mir in die Finger kam - es war ein Lammkotelett - und warf es nach Wonder Boy. Das Kotelett wirbelte durch die Luft wie ein Bumerang. Normalerweise war ich ein hoffnungsloser Fall im Werfen, doch diesmal landete ich einen Volltreffer. Wonder Boy heulte auf und sprang zur Seite, direkt vor Nabils Füße, der eine Platte Chickenwings durch den Garten trug. Nabil stolperte in Ismael hinein, der das Gleichgewicht verlor und gegen den Grill stürzte, der zusammenkrachte und überall glühende Kohlen verteilte, die den Grillanzünder in Brand setzten, der nicht richtig zugeschraubt und genau unter dem offenen Fenster des Kaminzimmers ausgelaufen war, dessen Vorhang draußen im Wind flatterte. Die Katzen fielen über die Chickenwings her. Wonder Boy schnappte sich den größten und rannte über den Gartenweg davon. Ein Windstoß kam auf; der Vorhang fing Feuer und brannte lichterloh. Mark Diabello versuchte die Flammen mit Champagner zu löschen, aber es war zu wenig und zu spät. Draußen auf der Straße quietschten Bremsen und es gab einen dumpfen Schlag. Die Flammen kletterten ins Fenster. Nick Wolfe tauchte am Gartentor auf und hielt an einem Bein Wonder Boys schlaffen, leblosen Körper. Mrs. Shapiro sprang hoch, schrie auf und wurde ohnmächtig. Tati versuchte Mund-zu-Mund-Beatmung bei Mrs. Shapiro. Das Feuer sprang von den Vorhängen auf die losen Papiere im Regal unter dem Fenster über. Die Musik begann zu leiern und brach ab. Mr. Ali rief mit dem Handy die Feuerwehr, doch er konnte sich nicht verständlich machen. Das Feuer raste durch das Kaminzimmer in den Flur. Nathan rief mit dem Handy die Feuerwehr. Ich stand nur da, sah mit geballten Fäusten zu, wünschte, ich könnte das fliegende Kotelett zurückrufen, und fühlte mich schrecklich, schrecklich, schrecklich schuldig.
     
    Stunden später - als die Feuerwehr da gewesen und wieder abgefahren war, Ms. Baddiel Mrs. Shapiro zu einer Behelfsunterkunft begleitet hatte, Ismael und Nabil zu Mrs. Ali zurückgekehrt und Chaim mit Nathan und seinem Tati nach Hause gegangen waren, als Wolfe und Diabello die Flaschen geleert hatten und zurück in ihre Höhle geschlichen waren - ging ich durch die milde Dämmerung zu Fuß nach Hause.
Einatmen - zwei - drei - vier. Ausatmen - zwei - drei - vier.
Ich atmete tief ein und roch, außer dem Londoner Verkehr, die Süße der steigenden Säfte und der frischen Triebe. Ich sah die Pfingstrosen in den Vorgärten und das helle Grün der jungen Blätter, die sich gerade entrollten. Ich sah, dass ich die Hände immer noch zu Fäusten geballt hatte und meine Fingernägel tiefe Abdrücke in meinen Handflächen hinterlassen hatten. Ich öffnete die Hände und entspannte sie. Sie hingen herab wie junge Blätter. Als ich zu Hause ankam, bemerkte ich, dass Violetta mitgekommen war. Ben und Rip waren schon zu Hause. Sie waren im Stadion gewesen, und jetzt tranken sie ein Bier und sahen fern - die Zusammenfassung der Wochennachrichten. »Schöne Party gehabt?«, fragte Rip, ohne aufzusehen.
    »Toll.« Ich kam und ließ mich aufs Sofa sinken. Violetta sprang schnurrend auf meinen Schoß.
    »Sieh dir das an«, sagte Rip und zeigte auf den Fernseher. »Wer hätte das gedacht?« Zwei Männer wurden interviewt, die grinsend vor einem Wald aus Kameras und Mikrophonen standen. Einer von ihnen sah ein bisschen aus wie Ian Paisley. Ich hatte keine Ahnung, wer der andere war.
    »Die zwei alten Mistkerle!«
    »Wer ist das?«
    »Ian Paisley und Martin McGuinness«, sagte Ben, der den Bericht von Anfang an gesehen hatte. »Sie haben sich geeinigt.« »Wirklich? Du meinst, in Nordirland?«
    Ich versuchte mich an eine Zeit zu erinnern, als der Nordirland-Konflikt noch nicht ständig in den Nachrichten war. Wie war es plötzlich zum Frieden gekommen? Und wie kam es, dass ich es nicht mitgekriegt hatte? Ich erinnerte mich an eine Frau, deren Haar ausgefallen war, sie war gestorben, als Rip und ich noch in Leeds waren.
    »Wer hätte das für möglich gehalten?
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