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Das Leben kleben

Das Leben kleben

Titel: Das Leben kleben
Autoren: Marina Lewycka
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die Musik im Garten hören konnten. Dann gingen sie Mrs. Shapiros Plattensammlung durch und berieten, was sie auflegen sollten. Man sah sie durchs Fenster reden und lachen. Sie wählten ein Orchesterstück aus, das mir vage bekannt vorkam. Vielleicht war es eine von Rips alten Platten. Was wird sie sagen, fragte ich mich mit schlechtem Gewissen, wenn ich sie zurückverlange?
    »Penny lässt sich entschuldigen.« Nathan stand neben mir. »Ihr Cousin Darryl heiratet.«
    »Das ist aber nett.« Ich spürte einen Anflug von Bedauern. »Wer ist der Typ im braunen Anzug?«
    Mr. Ali und Chaim Shapiro grillten das Fleisch und diskutierten. Als ich sie so sah, fiel mir plötzlich auf, wie ähnlich sie einander waren. Chaim stach in die Chickenwings, um zu prüfen, ob sie schon durch waren. Mr. Ali schob sich ein Stück Lammkotelett in den Mund. Als er meinen Blick sah, strahlte er mich an und rieb sich über den Bauch.
    »XXL.«
    »Das Problem mit euch Arabern ist«, sagte Chaim, »ihr sucht euch immer schlechte Anführer aus.« »Weil ihr Juden alle guten in Gefängnis steckt.«
    Mr. Ali durchbohrte das nächste Lammkotelett mit dem Spieß und wedelte damit durch die Luft. Die Chickenwings rauchten. Chaim wendete sie. »Wir stecken nur Terroristen ins Gefängnis.«
    »Hast du noch nie von Nelson Mandela gehört? Wenn ihr Frieden wollt, lasst Marwan Barghouti frei«, sagte Mr. Ali und unterstrich seine Worte mit dem aufgespießten Lammkotelett.
    »Dieser Barghouti - ist er Hamas oder Fatah?« Mit den Fingern nahm Chaim einen rauchenden Chickenwing vom Grill - autsch! heiß! - und biss krachend hinein. Dann schnappte er nach kalter Luft.
    »Hamas, Fatah - alle hören auf Barghouti!« Das Lammkotelett rutschte von Mr. Alis Spieß und flog über unsere Köpfe hinweg. Es landete auf dem Boden, doch er spießte es einfach wieder auf, jetzt klebten Grashalme daran, und wedelte weiter damit durch die Luft. »Nur er kann Frieden bringen.«
    »Mr. Ali, Chaim, das ist mein Kollege Nathan Stein«, mischte ich mich ein. Sie hielten mitten im Satz inne und drehten sich zu uns um.
    »Kommen Sie! Essen Sie was!« Chaim winkte mit dem Chickenwing.
    »Wir debattieren über Politik«, sagte Mr. Ali. Als er in die Runde blickte, sah ich, dass er ein Grinsen im Gesicht und Barbecuesoße im Bart hatte. Sie schienen sich beide hervorragend zu amüsieren. Auf dem Grill brutzelten die Fleischstücke vor sich hin.
    »Der beste Teil einer Diskussion ist Ansicht!«, erklärte Chaim.
    Mitten auf der Wiese rauften Mussorgski und Stinkerle um einen Hühnerknochen. Die Katzen aus der Nachbarschaft - die mit einem richtigen Zuhause - waren schockiert von der Zurschaustellung derart schlechten Benehmens.
    »Sehr lecker.« Nathan biss in einen Chickenwing.
    »Besser als eine Scherbe im Auge, was?«, sagte Chaim und lachte bellend über seinen Witz.
    Dänemark, erinnerte ich mich. Ich muss ihn noch nach Dänemark fragen.
    Ismael hatte einen selbstgebauten Drehspieß errichtet, doch die Koteletts und Chickenwings konnte man wegen der Knochen nicht aufspießen, und die Würstchen brachen in der Mitte durch. Genial, aber nutzlos. Wie so oft im Leben. Jetzt liefen er und Nabil mit Tellern voll angekohltem Fleisch frisch vom Grill herum und strahlten um die Wette, als sie es den Gästen anboten. Sie kasperten herum, rempelten einander an und ließen ständig etwas zu Boden fallen. Wonder Boy war in den Büschen und versuchte eine der Gastkatzen zu vergewaltigen (hätte er gewusst, dass es sein letztes Abenteuer sein würde!), Mrs. Shapiro saß auf einem der weißen Plastikstühle, die Füße auf einen zweiten hochgelegt, rauchte eine Zigarette und verfütterte heimlich die rohen Marks-&-Spencer's-Würstchen an die Katzen, die sich knurrend darum balgten. Tati saß neben ihr, trank Rotwein und aß einen Hamburger - es musste einer aus der Tiefe ihres Kühlschranks sein, ich hoffte, Tati hatte einen starken Magen. Mark Diabello füllte die Gläser nach. Ms. Baddiel versorgte alle mit Taschentüchern.
    »Ich arbeite hauptsächlich mit alten Menschen«, erzählte sie Mark Diabello mit ihrer Pfirsichstimme. »Ich kümmere mich um ihre Wohnbedürfnisse, damit sie weiterhin unabhängig leben können.«
    »Faszinierend«, murmelte er. »Wohnbedürfnisse sind auch mein Metier.«
    Und über allem wogte und tanzte die Musik, die aus dem Fenster in den Garten perlte.
     
    Was dann geschah, ging so schnell, dass ich die Reihenfolge der Ereignisse vielleicht durcheinanderbringe,
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