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Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)

Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)
Autoren: Günter de Bruyn
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Bildung und besaß viele Bücher, die Fritz nun stapelweise von ihm entlieh. Damit begann für ihn eine Zeit des planlosen Viellesens, die auch eine des seitenlangen Abschreibens war. Der Grundstock für seine uferlos anschwellende Sammlung von Exzerpten, die er später für seine Prosawerke verwenden sollte, wurde hier schon gelegt. Er las Bücher aller Wissensgebiete, vorrangig aber Werke der Philosophie und der theologischen Aufklärung, deren erste Wirkung die Entfremdung vom Vater war.

Abb.5: Pfarrer Erhard Friedrich Vogel.
Gemälde in der Friedhofskirche Wunsiedel
    Zu einem Bruch aber kam es nicht mehr, da den Vater, kurz nachdem er dem Sechzehnjährigen den Besuch des Gymnasiums in Hof erlaubt hatte, im April 1779 der Tod ereilte und er seiner Witwe und den minderjährigen Söhnen nichts als Schulden hinterließ.

Übungen
    Der in familiärer Isolation aufgewachsene, ins Lesen und Studieren vernarrte Junge, dessen Herkunft vom Lande schon seine Kleidung zeigte, hatte es im städtischen Gymnasium von Hof anfangs nicht leicht. Bereits in der ersten Französischstunde musste er das Hohngelächter der ganzen Klasse über sich ergehen lassen, weil er zu vertrauensselig gewesen war. Ihm war nämlich von einem Mitschüler namens Reinhart gesagt worden, dass es sich für einen Neuling gehöre, dem Lehrer zu Beginn der Stunde die Hand zu küssen, und da er diese veraltete Art der ehrerbietigen Begrüßung von seiner Familie her kannte, war er tatsächlich nach vorn gegangen und hatte dem verdutzten Lehrer die nur widerwillig gelassene Hand geküsst. Monsieur Janicaud, ein ehemaliger Tapetenwirker, der den Schülern mit Hilfe des einzigen vorhandenen Lehrbuches sein schlechtes Französisch beibrachte, hatte das für eine bewusste Frechheit gehalten, war zornig geworden und aus der Klasse gelaufen, während der Neue dem Gelächter der Schüler ausgesetzt war.

Abb.6: Hof. Radierung von
Johann Christian Philipp Tretscher um 1790
    Von der Stadt Hof, die damals etwa 4 000 Einwohner hatte, war als Heimat der Mutter schon in Joditz oft die Rede gewesen, und manchmal hatte Fritz auch den zweistündigen Fußweg dorthin machen müssen, um »Fleisch und Kaffee und alles zu holen, was im Dorfe« nicht zu haben gewesen war. Bei diesen gelegentlichen Besuchen war ihm die Stadt wunderbar und aufregend erschienen, jetzt, da er selbst darin lebte, bekam er auch ihre Schattenseite zu spüren, die vor allem im engen, konventionsverhafteten Denken ihrer Bewohner bestand. Seinen geistigen Bedürfnissen begegneten sie mit Unverständnis, und seine schulischen Erfolge, die ihn mit Stolz erfüllten, setzten ihn in ihren Augen, weil sie daran vor allem sein Anderssein erkannten, eher herab. Bei einer Übung im Diskutieren, die die Schüler zur Verteidigung der kirchlichen Dogmen befähigen sollte, hatte Fritz Richter den Opponenten zu spielen, und da er, der eine ganze Bibliothek heterodoxer Schriften im Kopfe hatte, sie so überzeugend spielte, dass die Unhaltbarkeit der orthodoxen Lehre bewiesen worden wäre, hätte der erschrockene Lehrer die Übung nicht vorzeitig abgebrochen, galt der Pastorensohn den Hofern fortan als Atheist.
    Wenig später versuchte der zum jungen Mann Heranwachsende sich seinen Kummer in einem Roman von der Seele zu schreiben, dessen Unwert er selbst bald erkannte und ihn wieder verwarf. In ihm beklagt sich der Ich-Erzähler über seine Lehrer, die »ihrem Verstande nichts bedeutende Nahrung geben« und ihr »Herz verwelken« lassen, und er bezeichnet die Schüler als bloße Kopien von ihnen, die noch unerträglicher sind. »Man äft mich« , heißt es dann weiter, »denn ich bin fremd. Ich bin zu offenherzig, darum hält man mich für einen Einfältigen – darum werd’ ich so oft betrogen. … Ich leb’ unter den Leuten so hin. Ich befürchte gar, ihnen ähnlich und mir unähnlich zu werden« , – aber diese Befürchtung war unnötig, weil der junge Autor, der seine geistige Überlegenheit durchaus zu schätzen wusste, zur Anpassung ans Mittelmaß weder willens noch fähig war.
    Das zeigten auch seine zwei öffentlich gehaltenen Schulreden, in denen er sich zwar dem konservativen Geist der Schule weitgehend annäherte, sein wahres Denken aber doch ein wenig verriet. Als der Sechzehneinhalbjährige im Oktober 1779 zur Geburtstagsfeier für die Mutter des regierenden Markgrafen die Festversammlung über »Den Nutzen des frühen Studiums der Philosophie« aufklärte, widerlegte er erst die gängigen
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