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Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)

Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)
Autoren: Günter de Bruyn
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Frühlingsanfang
    Nachts ein Uhr dreißig wurde das Kind geboren. Es lebte und war gesund, was damals nicht selbstverständlich war. Besonders in so abgelegenen Gegenden wie dem Fichtelgebirge waren die Hebammen wenig oder gar nicht ausgebildet, und ärztliche Geburtshilfe gab es in den unteren Bevölkerungsschichten kaum. Auch die falsche Pflege der Säuglinge führte oft zu ihrem Tode. Da man fürchtete, dass sie krumm, lahm oder bucklig werden oder sich beim Schreien Brüche zuziehen konnten, wickelte man sie so fest ein, dass sie kein Glied bewegen konnten. Viele gingen an einseitiger Überfütterung mit Mehlbrei zugrunde, und als Schlafmittel benutzte man bedenkenlos Branntwein oder ausgekochten Mohn. Von den sechs Kindern, die Rosine Richter nach diesem ersten noch zur Welt brachte, überlebten zwei die ersten Jahre nicht. Das entsprach etwa dem statistischen Durchschnitt der Kindersterblichkeit.

Abb.1: Wunsiedel 1798.
Kupferstich von Johann Gottfried Koeppel
    Es war die Nacht zum 21. März. Mit dem Kind zugleich kam also der Frühling, der immer sehnlich erwartet wurde, weil damals auch das Leben der Städter noch mehr dem Wechsel der Jahreszeiten unterworfen war. Im Winter waren die Straßen kaum passierbar, in den engen Wohnungen der Kleinbürger war meist nur eine Stube heizbar, und Kerzen, Kienspan oder Öllampen gaben nur schlechtes Licht. Das macht die Freude verständlich, mit der Jean Paul später gern betonte, dass der Beginn seines Lebens mit dem des Frühlings zusammengefallen war. Die Tagundnachtgleiche schien ihm in Beziehung zu stehen zu seinem Doppelstil, dem humoristisch-satirischen und dem pathetisch-sentimentalen. Er zählte die Zugvögel auf, die mit ihm zusammen ankamen, und er wusste die Pflanzen zu nennen, die man auf seine Wiege hätte streuen können: Scharbockskraut, Ackerehrenpreis oder Hühnerbissdarm – Namen, die sich anhören, als habe er sie erfunden.
    Nachzulesen ist das im Fragment seiner Autobiographie, die erst nach seinem Tode erschien. Der nicht von ihm stammende Titel erregte Goethes Unmut. Nach »Dichtung und Wahrheit« musste ihm »Wahrheit aus Jean Pauls Leben« wie ein anmaßender Gegenentwurf erscheinen. »Aus Geist des Widerspruchs« habe Jean Paul das geschrieben, sagte er zu Eckermann. Während seine eigne Autobiographie »sich durch höhere Tendenzen aus der Region einer niedern Realität« erhebe, bleibe Jean Paul ihr verhaftet. »Als ob die Wahrheit eines solchen Mannes etwas anderes sein könnte, als dass der Autor ein Philister gewesen!« Ein hartes und falsches Urteil, das aber die Unterschiede zwischen den beiden Großen trefflich markiert.
    Bezeichnend sind auch die Anfänge der beiden Autobiographien. Feierlich setzt Goethe seinen Lebensbeginn in Beziehung zum Kosmos. »Die Konstellation war glücklich: die Sonne stand im Zeichen der Jungfrau und kulminierte für den Tag; Jupiter und Venus blickten sie freundlich an.« Jean Paul aber, ganz der »niedern Realität« verhaftet, weist, bevor er zu Schnepfen, Bachstelzen, Löffelkraut und Zitterpappeln kommt, auf das politische Hauptereignis seines Geburtsjahres hin. »Es war im Jahre 1763, wo der Hubertusburger Friede zur Welt kam.«
    Im Jagdschloss Hubertusburg bei Oschatz hatten seit dem Dezember des Vorjahres die Unterhändler Österreichs und Sachsens mit denen Preußens über den Abschluss des Siebenjährigen Krieges verhandelt, der durch die Zerrüttung der an ihm beteiligten Staaten bereits zum Erliegen gekommen war. Der verlustreichste Krieg des 18. Jahrhunderts, an dem sich fast alle europäischen Mächte beteiligt hatten, war am 15. Februar 1763 durch einen Friedensvertrag beendet worden, der vorsah, dass alles so blieb, wie es vor dem Kriege gewesen war. Als Friedrich II. von Preußen Ende März nach Berlin zurückkehrte, das er sechs Kriegsjahre hindurch nicht gesehen hatte, fühlte er sich nicht als Sieger und wich den Feierlichkeiten, die man für ihn vorbereitet hatte, aus. Ungesehen ließ er sich ins Stadtschloss fahren und trauerte möglicherweise den vielen Opfern seiner Kriege nach.

Abb.2: Kirche und Geburtshaus Jean Pauls in Wunsiedel. Stahlstich von Franz Hablitschek nach einer Zeichnung von G. Könitzer
    Der wenige Wochen zuvor geborene Johann Paul Friedrich Richter, der zu Hause Fritz gerufen wurde und sich später als Autor Jean Paul nannte, gehörte zu dieser Zeit nicht zu des Königs Untertanen. Wunsiedel, sein Geburtsort, war Teil des Fürstentums Bayreuth, das seit dem
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