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Das Leben dahinter (German Edition)

Das Leben dahinter (German Edition)

Titel: Das Leben dahinter (German Edition)
Autoren: Chris Bergner
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war.
    Der Bereich der Theoretischen Analytik war mit Abstand der räumlich größte in der gesamten Einrichtung. Eine Halle erstreckte sich vor ihm, in der es überall kleine Nischen mit Terminals gab und einen riesigen Projektor mitten im Zentrum. Außerdem war die Decke wesentlich höher als in dem Gang, aus dem er gekommen war und alles war in bläuliches Licht getaucht. Und obwohl hier viele Menschen Platz fanden, blieb es immer erstaunlich ruhig. Kaum jemand sprach und wenn, dann nur flüsternd. Die meisten arbeiteten still an den Terminals, die selbst keine Geräusche von sich gaben. Hektischer Ruhepol der Theoretischen Analytik.
    Der Widerspruch in der Nomenklatur dieses Arbeitsbereichs war ihm immer ein Dorn im Auge gewesen, aber viel besser konnte er die Tätigkeiten hier auch nicht beschreiben; es wurde im Prinzip nichts bestätigt oder falsifiziert. Hier ging es um theoretische Konstrukte zur theoretischen Erklärung diverser auszuwertender Sachverhalte und Problemstellungen, die auch Wahrscheinlichkeitsberechnungen beinhalteten und durch andere Stellen aufgegriffen werden sollten. Stellen, die diese Konstrukte komprimierten, validierten und gegebenenfalls Maßnahmen ableiteten. Ein gewaltiger Mechanismus, dem buchstäblich alle naturwissenschaftlichen Bereiche zugrunde lagen, der aber eigentlich keine greifbaren Ergebnisse vorweisen konnte. Viel Lärm um nichts, konnte man sagen. Sinnvoller Unsinn der Theoretischen Analytik.
    Als er hastig durch den Raum schritt, stellte er eine doch relativ geringe Anzahl von Personen in der Halle fest. Normalerweise waren schon um zwei Uhr morgens mindestens doppelt so viele hier. Sicher gab es auch ruhige Zeiten, aber da er es schon zur Kenntnis nahm, mussten es heute Morgen ungewöhnlich wenige sein. Und noch etwas war auffällig; über jedem Terminal schien das Karmesinobjekt zu schweben. Mal vergrößert, mal gekippt, mal rotierend, mal bemaßt, mal amorph vergrößert, mal spektrographisch zerlegt und so weiter. Als würde hier ein Finde-den-Fehler-Bild die Runde machen. Wer ihn als erster erkennt, darf sich das Mittagessen aussuchen... Irgendetwas war seltsam an der gesamten Atmosphäre hier. Er konnte es spüren und plötzlich kam ihm auch wieder Singhs eigenartiges Verhalten von gestern Nacht in den Sinn.
     
    ---
     
    Alka Singh hatte zuerst nicht mitbekommen, dass sich die massive Tür am Ende der Halle geöffnet hatte. Erst als Mikael Johannson schnellen Schrittes auf sie zukam, sie den Widerhall des hastigen Klackens seiner Sohlen vernahm, sah sie zu ihm auf.
    Sein Blick verriet ihr, dass er eigentlich nicht hasten wollte. Er musste nur wiedereinmal viel zu lange an dem – ihrer Meinung nach – äußerst veralteten Eingangsscanner verharren und nun versuchte er vermutlich unterbewusst, die Sekunden der gestohlenen Lebenszeit wieder hereinzuholen.
    „Einen schönen guten Morgen!“, lächelte sie ihn an. „Was verschlägt Sie zu so früher Stunde in meine heiligen Hallen?“
    Er war an dem übergroßen Projektortisch, an dem sich Singh gerade mit zwei Kollegen besprochen hatte, angelangt und stellte etwas unbeholfen seine Tasse darauf ab. Wäre sie ein bisschen voller gewesen, hätte er Kaffee verschüttet und vermutlich die riesige topographische Projektion des Fundorts gestört, die über dem Tisch schwebte.
    Irgendwie machte Johannson bei näherer Betrachtung einen ziemlich derangierten Eindruck. Ein aus dem Hosenbund hängender Hemdfetzen hier, ein übersehenes Stück Bartschatten da und sein faltiges Gesicht erschien hagerer und fahler, als es ohnehin stets war. Und er blickte sie leicht verwirrt an, als war er noch nicht wirklich wach oder in tausend Gedankensträngen gleichzeitig gefangen. Hätte er ihr nicht ein kurzes erwiderndes Lächeln geschenkt, wäre Singh die eigene gute Laune ein wenig unangenehm gewesen.
    „Wie sieht's aus?“, fragte Johannson dann und blickte sich nachdenklich um, als sollte der Raum und nicht Singh ihm die Antwort auf seine Frage geben.
    „Nichts Neues bisher.“ Etwas verunsichert folgte sie seinem umherschweifenden Blick, während sie sprach. „Aber wenn Sie wollen, können wir losfahren.“
    Johannsons Augen kehrten wieder in Singhs Gesicht zurück. Es sah so aus, als schüttelte er kurz beiläufig den Kopf.
    „Fahren wir allein?“, fragte er dann und blickte kurz die stummen Mitarbeiter neben ihr an.
    „Für heute schon. Ich habe das geklärt.“ Sie fühlte sich durch seinen undurchschaubaren, etwas
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