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Das Leben dahinter (German Edition)

Das Leben dahinter (German Edition)

Titel: Das Leben dahinter (German Edition)
Autoren: Chris Bergner
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Leder. Beim zweiten Versuch hievte er sich behäbig und unter Verwendung seiner Arme aus dem Sessel. Sein Nacken schmerzte, das Bett wäre wohl doch die bessere Wahl gewesen.
    Er vollführte die Standarddarbietung der Spezies Mensch seit der Einführung von Badezimmern, Küchen und Kaffees und kam mit einer weißen Tasse zurück. Beim Nippen dachte er etwas über die Eigenarten des gestrigen Abends nach und grimassierte dabei ohne es zu merken sein Gesicht, ob der Hitze des schwarzen Getränks. Er gähnte in seinen Arbeitsraum. Frühstücken mochte er nicht, der Hunger stellte sich für gewöhnlich ohnehin erst gegen Mittag ein. Wenn es hier überhaupt so etwas wie eine Mittagszeit gab.
    Weil sein Hirn durch den Hitzeschock, die hetzenden Endorphine und die in Gang gesetzte Blutzirkulation nun langsam zu arbeiten begann, aktivierte er kurzerhand das Terminal, zog das Karmesinobjekt aus dem gespeicherten Verlauf zu sich heran und betrachtete es, drehte es und prüfte es von allen Seiten. Da waren nichts weiter als Dellen und eine raue Oberfläche. Genau wie gestern sah es nur wie ein sperriges Stück Müll aus, das irgendjemand hatte liegen lassen. Nur dass dies nicht möglich war. Die Farbe und das leichte Pulsieren darin taten nach einer Weile seinen Augen weh. Bevor er es wieder verschwinden ließ, sprach er in den Raum.
    „Existieren eigentlich noch weitere Daten über dieses Objekt? Ungewöhnlichere Messwerte? Tomographische Daten? Materialanalysen?“
    „Nein.“
    „Die Drohne konnte nichts weiter erfassen?“
    „Nein.“
    „Seltsam... Ist denn die Farbdarstellung des Faksimiles realistisch?“
    „Ja.“
    Die Reaktionen des Netzes waren einsilbiger als normalerweise. Sonst war es kaum zu bändigen, hielt Vorträge und diskutierte. Aber heute wollte das virtuelle Über-Wir mit männlicher Stimmensimulation wohl nicht. Darum schaltete er das Terminal wieder ab, zuckte mit den Schultern, nippte weiter an seinem Kaffee und schlurfte in Richtung Quartiersausgang.
    Als sich dieser öffnete, fand er bereits emsiges Treiben vor. Menschen liefen durch die hohen, homogenen, weißgrauen Gänge, hielten ihre neuen Holos an sich gedrückt – das Komglomerat hatte es doch tatsächlich geschafft, diese Dinger der STR5-Reihe sogar hierher zu verschachern und damit die Divinität der allgegenwärtigen Vernetzung zu unterstreichen – redeten kurz miteinander und überlegten, wohin sie gerade gehörten. Ein paar grüßten ihn sogar, als er mit seinem Kaffee in Richtung Theorie schritt, wo Singhs Arbeitsplatz war.
    Eines war ihm ein absolutes Rätsel: Wie kam es, dass das Karmesinobjekt nicht mit Schnee bedeckt war oder in einem Loch im Eis steckte? Zwei Antworten: Es war dort abgelegt worden – nicht gefallen. Und es war warm. Nicht so, dass es sich ins Eis schmolz, aber warm genug, dass der Schnee nicht liegen blieb. Eine Überlegung zu den gestrigen Eigenarten an Singhs Verhalten oder diese in Verbindung mit der kürzlichen Zurückhaltung seines Terminals zu bringen, kam ihm noch nicht.
    Eine weitere Tür öffnete sich und beinahe wäre er von Brent über den Haufen gerannt worden, der von der anderen Seite angestürmt kam und dem dafür etwas Kaffee auf die Schulter schwappte. Der junge Chemiker bemerkte es nicht einmal, entschuldigte sich nur knapp und hastete weiter. Er selbst trottete den Gang hinunter und war nach wenigen Minuten schließlich bei der Theoretischen Analytik angelangt, deren Zugang etwas Geduld erforderte.
    „Es ist zum Auswachsen!“ murmelte er, während er vorm Eingang wartete. Nicht, dass er es eilig gehabt hätte, im Prinzip war es mehr ein Ritual, erbost zu sein. „Da gibt die Organisation so viel Geld für diese dämlichen Holos aus, aber an gesicherten Bereichen werden immer noch diese alten Dinger verwendet.“
    Er konnte jedes Mal förmlich spüren wie die schwarz glänzenden Platten im Rahmen der Tür die Strahlung durch seinen Körper schossen, nur um zweifelsfrei zu bestimmen, dass jede seiner Zellen der anderen glich – im Speziellen jeder Nukleus – und sie alle zusammen die Erlaubnis hatten, einzutreten. Langwierig und veraltet, aber dafür unheimlich sicher. Soviel zum Thema Vertrauen. Und allzu gesund war der Beschuss bestimmt auch nicht.
    Nach zirka dreißig Sekunden war die Sequenz abgeschlossen, das System hatte das erkannte Material mit den entsprechenden Datenbankeinträgen und sich selbst verglichen und die Türen öffneten sich für jemanden, der hier quasi ein Dauergast
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