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Das Leben dahinter (German Edition)

Das Leben dahinter (German Edition)

Titel: Das Leben dahinter (German Edition)
Autoren: Chris Bergner
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think I'll go home now."
    David Firth – Salat Fingers

Besuch
     
    Als er sich in seinem Quartier auf dem schweren, braunen Ledersessel fallen ließ, den er sich als einziges Überbleibsel seines früheren Lebens an diesen Ort hatte bringen lassen, war es Nacht. Wie immer. Als er aus dem Fenster direkt vor sich blickte, zeigte es, wie Schnee langsam auf noch mehr Schnee sank – so wie immer. Eine Theaterbühne, auf dem ein Stück über belebte Monotonie gespielt wurde.
    Neben sich hatte er seine Aktentasche platziert. Wie der Sessel , war sie ebenfalls aus Leder. Irgendwie hatte er eine Affinität zu diesem Material. Barbarisch, aber er mochte nun einmal den Geruch.
    Das Licht im Quartier war abgestellt, das Terminal auf dem Schreibtisch und die Kommunikationsanlage neben der Tür waren ohne Energie, sodass er nur das Rauschen seines eigenen Blutes wahrnahm, das sich durch die Kapillargefäße im Mittelohr zwängte.
    Einen Moment lang schloss er die Augen, atmete zweimal durch, versuchte dabei nicht zu denken, gab diesen Gedanken wieder auf, öffnete die Augen und katapultierte seinen müden Verstand zurück ins Anthropozän, wenn es das noch war. Der Schnee war noch da. Er auch.
    Außenscheinwerfer ließen die Flocken gelblich glitzern. Eine Parade aus winzigen Kristallen, die ihm wie Privilegierte schienen. Privilegiert im Gegensatz zu den Milliarden anderen da draußen, die schließlich ihr Dasein bedeckt von Ihresgleichen für eine lange Zeit fristen würden und dafür nicht eine Millisekunde lang Aufmerksamkeit bekommen hatten. Tragisch. Aber es waren auch nur Schneeflocken, denen es wohl reichlich egal sein konnte.
    Glücklicherweise gab es Sekundenbruchteile, bevor die Klingel ertönte, stets ein leises, doch deutlich wahrnehmbares Geräusch. Ein dumpfes Knistern. Der eigentliche Ton der Klingel, auch wenn sie sich der Umgebungslautstärke anpasste, hätte ihn sonst vermutlich vom weichen Sessel auf den harten Boden plumpsen lassen. Seine überentspannte Sitzhaltung hatte ihm dies ohnehin schon angedroht.
    Dass dem menschlichen Gehirn Sekundenbruchteile genügten, um ein Geräusch als harmlos einzustufen, beeindruckte ihn kurz. Genauso wie die Erkennungsalgorithmen, die ihm sofort verrieten, um wen es sich auf der anderen Seite der Tür handelte. Alka Singh zeigte ihm das kleine Display neben der Tür an, das sich nun wieder aktiviert hatte.
    „Kommen Sie!“, grunzte er und die Tür öffnete sich.
    „Entschuldigung. Haben Sie geschlafen?“, floskelte Singh sofort, als sie ein paar Schritte in den Raum getreten war und im Schein der noch offenen Tür vor ihm stand. Die innere Unruhe, die mit ihr hereingeschlichen war, war erstaunlich schnell bei ihm angekommen.
    „Mehr ode r weniger... Eigentlich nicht.“
    Er war dennoch ziemlich müde. Mit einer Geste brachte er den Raum wieder in Bereitschaft, mit einer anderen drehte er das Licht hoch, gerade genug, um ihr Gesicht erkennen zu können. Erst dann setzte er sich aufrecht hin.
    „Gut“, sagte sie und blickte kurz auf ihre eigenen Füße, dann auf den Fußbodenbelag, das Terminal, die Zimmerdecke, den Sessel, seine Beine und letztendlich in sein Gesicht. Er kannte sie ein paar Monate lang und diese visuelle Wanderschaft hatte nichts Gutes zu bedeuten, war bei den meisten Menschen so.
    „Also?“
    „Es gibt etwas, das ich Ihnen zeigen möchte.“
    „Das hatte ich mir schon gedacht.“
    Einigermaßen verwirrt sah Singh ihn an. Dann ging sie weiter auf ihn zu und legte einen Datenspeicher neben das Terminal, das in diesem Moment nicht mehr als eine metallische Auswölbung des Schreibtisches war. Gleich versuchte sie es mit einem Herüberfahren ihrer Handfläche zu aktivieren, doch nichts geschah.
    „Gesperrt?“, fragte sie.
    „Geschützt“, antwortete er und stand mit einem Lächeln und einem Ächzen des Sessels auf. Sie blickte ihn verständnislos an.
    „Ich weiß, wir sind hier alle Freunde und niemand käme auch nur auf die Idee, grundlos persönliche Daten auszuspähen. Ich bin trotzdem der Meinung, wenn man die Möglichkeit hat, etwas zu schützen, warum sollte man es nicht tun?“
    Wäre schließlich nicht das erste Mal unter Freunden, dass man besser eine Information geschützt hätte , dachte er bitter.
    Singh nickte kurz, schien erleichtert, als er neben ihr stand und das Terminal aktivierte. Sie war recht klein, ging ihm bis zur Schulter. Irgendetwas unter eins sechzig, schätzte er. Dunkles, sehr lockiges Haar, dunkler Teint, schmal,
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