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Das Lächeln des Leguans

Titel: Das Lächeln des Leguans
Autoren: dtv
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Besten, in denen beherzte Seeleute und furchtlose Waldläufer einem ganzen Pantheon primitiver Gottheiten die Stirn bieten.
     Er nutzt die Gelegenheit, um ein paar Bierflaschen zu öffnen, die er in seiner Räucherkammer versteckt. Denn laut großmütterlichem
     Dekret ist jeglicher Alkohol im Haus verboten, und zwar wegen angeblicher Ausschweifungen, derer sich der alte Mann in früheren
     Jahren schuldig gemacht haben soll. Heutzutage ist er allerdings sehr viel maßvoller; es bleibt bei drei, vier Bieren, die
     er sich ganz unauffällig genehmigt.
    Großmutter neigt dazu, bissig zu sein. Mit ihrem Mann geht sie nicht gerade behutsam um, aber für mich armen Kleinen hegt
     sie eine nie versiegende Zärtlichkeit, und es tut gut, sich in ihr altmodisches Parfüm zu schmiegen. Großmutter führt ein
     striktes Regiment im Haushalt. Hygiene ist für sie eine Kardinaltugend. Wenn ich im Sommer vom Schwimmen zurückkehre, darf
     ich das Haus erst betreten, nachdem sie mich auf der Jagd nach auch noch dem letzten verräterischen Sandkörnchen bis zwischen
     die Zehen untersucht hat, und selbst Großvater muss sich, wenn er aus der Räucherkammer kommt, so manches Mal auf der Veranda
     ausziehen. Großmutter ist selbstbewusst und sehr auf ihr Äußeres bedacht. Sie hält sich über die neueste Mode auf dem Laufenden,
     und die Nachlässigkeit ihres Mannes in puncto Kleidung ist ihr ein Dorn im Auge.Welch eine Schande für sie, am Arm dieses Höhlenmenschen gesehen zu werden! Sie würde ihn gern zum Stadtbummel nach Villeneuve
     mitnehmen, was allerdings ein frommer Wunsch ist, denn beim bloßen Gedanken an ein Einkaufszentrum bricht Großvater der kalte
     Schweiß aus.
    Sie weiß, dass er in seinem Refugium Flaschen lagert. Wenigstens bleibt ihr die Genugtuung, das Haus davon gesäubert zu haben.
     Am liebsten würde sie auch die Zigaretten ausrotten, aber da er in dem Punkt stur bleibt, verlegt sie den Kampf lieber auf
     die psychologische Ebene: Aus den leeren Schachteln formt sie eine Kugel, die Jahr für Jahr größer wird und das unaufhaltsame
     Fortschreiten des Krebses symbolisiert, der ihn eines Tages dahinraffen würde. Großvater lässt sich davon kaum beeindrucken;
     sobald sie ihre Kugel zückt, gerät er in Rage und bezichtigt sie der seelischen Grausamkeit. Sie wiederum wirft ihm seine
     Unvernunft vor. Er klagt sie an, sie würde ihn tyrannisieren, worauf sie kontert, er sei eben ein alter, störrischer Karibu.
     Solche Auseinandersetzungen kommen häufig vor und hinterlassen ihre Spuren. Weil Großvater weniger zungenfertig ist als sie,
     geht ihm immer zuerst die verbale Munition aus, dann antwortet er nur noch im Morsealphabet, einer telegrafischen Sprache,
     die sie nicht beherrscht und dank derer der alte Mann sich mit einer andernfalls unzumutbaren Deftigkeit ausdrücken kann.
     Ich bin mit diesem Code vertraut, weshalb ich mich in der heiklen Rolle des Dolmetschers befinde. Ich bemühe mich, die Dinge
     zu beschönigen. Ich bin der Blauhelm;ich versuche zu verhindern, dass die Lage eskaliert, aber meine Fähigkeiten als Vermittler sind lachhaft, weshalb ihre Dispute
     nicht selten eskalieren. Sie schimpft ihn einen Trunkenbold und er sie eine Bingosüchtige. Sie verurteilt seine Liederlichkeit
     und er ihren abgeschmackten Charme. So hangeln sie sich die fließenden Stufen der gezielten Kränkung hinauf bis zum Hochplateau
     wüstester Beschimpfung: Sie bezeichnet ihn als senil, worauf er entgegnet, sie sei eine indiskrete alte Schnüfflerin. Für
     beide gibt es wohl kaum verletzendere Unterstellungen. Was nichts daran ändert, dass sie durchaus begründet sind. Es stimmt,
     dass Großvater hin und wieder Anwandlungen hat, die sich allein durch sein hohes Alter erklären lassen, dass er gelegentlich
     auf dem offenen Meer deutsche U-Boote entdeckt und der Küstenwache Meldung erstattet, die ihm freundlich verspricht, sich der Sache anzunehmen. Und es ist genauso
     wahr, dass Großmutter hin und wieder nachts heimlich ins Postbüro schleicht und den einen oder anderen Brief ihrer Nachbarinnen
     über Wasserdampf öffnet. Aber jedes Mal, wenn sie sich bei ihrer Aussprache derart hochschaukeln, kommt es zum Eklat. Großvater
     knallt die Tür zu und kippt sich in seiner Räucherkammer einen hinter die Binde, während Großmutter wie eine Besessene zu
     nähen beginnt und schwört, sich lieber die Gurgel durchzuschneiden, als je wieder ein Wort mit ihm zu wechseln.
    Sie schaffen es nie, einander lange
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