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Das Lächeln des Leguans

Titel: Das Lächeln des Leguans
Autoren: dtv
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seiner geliebten Maschine schlafen können, und bestimmt war er als
     Baby häufig in einem solchen Kinderwagen auf Skiern eingeschlummert, wie sie gewöhnlich am Familienschlitten befestigt wurden.
     Er hatte am Lenker seines Ski-doo seine ersten Pickel bekommen, mit fünfzehn im Motodrome von Brûlé sein erstes professionelles
     Rennen gewonnen und natürlich ein paar Jahre später auf der Ookpik-Rallye Mama kennengelernt, eine junge, furchtlose Amazone,
     die auf einer ebenso leistungsfähigen Maschine hockte. Auch sie war auf einem Motorschlitten aufgewachsen. Auf dem väterlichen
     Rücken festgeschnürt wie ein Eingeborenenkind, war sie seit frühester Kindheit die Fahrrinnen entlanggeflitzt und hatte als
     Fünfjährige zu Weihnachten ihren ersten eigenen Ski-doo eingeweiht, ein Miniaturmodell, das tatsächlich funktionierte. Als
     mein zukünftiger Vater feststellte, dass sein Leben nur noch einen Sinn haben würde, wenn besagte aufregende nordische Eva
     ein Teil davon wäre, hatte er sich darangemacht, sie zu erobern. Er hatte ihr unter dem dichten Blattwerk nachgestellt, ihr
     mit der Dringlichkeit eines Krankenwagenfahrers den Hof gemacht, und meine zukünftige Mutter hatte die dröhnenden Avancen
     dieses stattlichen Yetis mit dem gewinnenden Lächeln erhört. Auf dem Motorschlitten verabredeten sie sich, verlobten sie sich,
     begaben sie sich zu ihrer Trauung, um dann an der Spitze einer lärmenden Fackelprozession wieder aufzubrechen. Auf dem Motorschlittengelangten sie zu jener Blockhütte tief im Wald, in der sie ihre Flitterwochen verbrachten, und gewiss bin ich unter dem geräuschvollen
     Geraschel hastig geöffneter Reißverschlüsse auf dem Sattel ihres feurigen Motorschlittens entstanden.
    Nach der Hochzeit beschlossen meine Eltern, sich im nahe gelegenen Villeneuve niederzulassen, dem industriellen Knotenpunkt
     der Küste, wo es Arbeit im Überfluss gab. Dort kam ich zur Welt und wuchs heran. Das liebe, alte Dorf Ferland war jedoch nur
     eine halbe Stunde entfernt, und jeden Sommer kehrten wir wegen des Meeres und im Gedenken an die Uramöbe dorthin zurück. Noch
     häufiger waren wir im Winter dort, um den Schnee zu genießen, denn Ferland war nach wie vor ein Paradies für Motorschlittenfahrer;
     vom Hof des Hauses meiner Großeltern mütterlicherseits gelangte man über die Trasse der Strommasten von Hydro-Québec, die
     ihr monotones Hinterlandalphabet in gigantischen Lettern bis nach Nunavik buchstabierten, in die Wildnis. An jedem Wochenende
     im Winter diente demnach das elterliche Domizil in Ferland meinen in die wilde Unendlichkeit vernarrten lieben Eltern als
     Sprungbrett. Allerdings ließ ich sie häufig allein losziehen, denn obwohl ich Papas berühmten Kinderwagen auf Skiern geerbt
     hatte, in dem ich immer wieder mitgenommen worden war, blieb ich gegen den doch eigentlich erblichen Motorschlittenvirus immun.
     Ich bin gegen das Gefährt nicht etwa allergisch: Bei gelegentlichen Rennen auf dem verschneiten Strandkonnte ich sehr wohl mithalten und berauschte mich hin und wieder daran, durch die blendende Dunkelheit eines lautlosen nördlichen
     Waldes zu rasen, doch im Gegensatz zu meinen Eltern machte ich daraus nicht meinen Lebensinhalt. Ich hatte schon bald genug
     von der endlosen Weite und lehnte jede Form von Lärm im Freien ab. Ich war dagegen, dass man die kleinen Tiere vorzeitig aufweckte
     und den niedlichen Eichhörnchen einen Schrecken einjagte. Meine eigene Welt galt erhabeneren Dingen, und ich frönte harmlosen
     Lastern wie etwa der Lektüre. Dem makellosen Weiß der verschneiten Lichtungen zog ich das weniger makellose, für meine Augen
     ungleich aufregendere der Seiten eines Buches vor, und während meine Eltern sich in Sibirien austobten, labte ich mich lieber
     an einem guten Horrorroman und an ofenwarmen Muffins in Großmutters Wohnzimmer mit der schönen Aussicht. Genau das gedachte
     ich auch an jenem Tag, dem verflixten Februarsamstag, an dem mein Leben ins Wanken geriet, zu tun. In gewisser Weise kann
     man sagen, dass die Lektüre mir das Leben gerettet hat.
     
    *
     
    Es war einer jener stürmischen Tage, an denen das Thermometer plötzlich verrücktspielt. Der schneidende Ostwind heulte gespenstisch,
     was jedoch noch nichts war verglichen mit dem für den Abend angekündigten Blizzard, aber meine Eltern ließen sich nicht so
     leicht einschüchtern. Diese unerschrockenen Kinder von Thulewürden nicht so ohne Weiteres auf ihre wöchentliche Fahrt
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