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Das Lächeln des Leguans

Titel: Das Lächeln des Leguans
Autoren: dtv
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heftigen Krämpfen niedergestreckt. Ich bereute, nicht meinem Plan gefolgt zu sein. Ich schlug
     vor, ihn zum Arzt zu bringen. Er wollte davon jedoch nichts wissen und robbte auf den Ellenbogen in Richtung Grotte. Ich trug
     ihn hinein und legte ihn neben den Leguan. Die Krämpfe schienen nachzulassen. Jedenfalls wurden die Abstände größer, sodass
     er ein wenig durchatmen konnte. Zehn Minuten später jedoch bekam er Fieber, halluzinierte und begann, lauthals zu fantasieren.
     Er sagte, er habe dort unten die Wesen aus Ftan mit ihren schillernden Lanzen aus Perlmutt gesehen, er sei ihnen durch die
     mit Entenmuscheln besetzten Wracks entgegengeschwommen und habe sie, diese in Licht gehüllten anmutigen Seekühe, endlich gefunden.
     Sie hätten um ihn herum einen leuchtenden Kreis gebildet, ihn ehrerbietig gegrüßt und sich dann über ihn geneigt, um ihr chirurgisches
     Wunderwerk zu vollbringen. Daher rührten die Krämpfe, die Schmerzen. Sie seien erste Anzeichen für die Metamorphose. Sein
     Körper werde eine Wandlung durchmachen und sein wahres Wesen werde offenbart werden. So etwas gehe eben nicht ohne Schmerzen
     vonstatten.
    Er war vor Erschöpfung ganz hohläugig und sank in einen seismischen Schlaf, während er ganz leise in der Sprache der Sirenen
     vor sich hin murmelte. Soweit ich es beurteilen konnte, unterhielt er sich mit seiner Mutter.
     
    *
     
    Mit spitzen Fingern ertastete die Morgendämmerung die Eingeweide der Grotte und streifte meine Wimpern. Draußen kreischten
     mindestens eine Million Möwen, doch was mich schließlich aufweckte, war Lucs Stöhnen. Es ging ihm schlecht. Er wand sich,
     seufzte, zitterte am ganzen Leib. Er blutete aus der Nase, und sein linkes Auge war eine scharlachrote Kugel. Er konnte sich
     nicht rühren, ja nicht einmal mehr sprechen. Lediglich mit den Zähnen klappern, und so beschwor er mich im Morsecode, nur
     ja keine Angst zu haben: Metamorphose   – Nicht wirklich sterben – Wandlung   – Fahr Schlauchboot zurück – Umarme deine Mutter   – Kümmere dich um Leguan   – Hab dich lieb – Versenk mich im Wasser   – Auf offenem Meer   – Nötig für Abschluss Metamorphose   – Nicht vergessen – Wichtig   – Danke Freund   – Adieu.
    Seine gekrümmten Gliedmaßen wurden von Krämpfen geschüttelt. Es wirkte tatsächlich so, als versuche sein Körper seine Gestalt
     zu verändern, als verrenke er sich in alle Richtungen, um sich zu wandeln, doch auf seinem Gesicht erstrahlte ein Lächeln,
     das ihn beinahe schön aussehen ließ. Sein Atem wurde unregelmäßig, und ich begriff, dass er sein Leben aushauchte, als würde
     es im Rhythmus der Atemstöße aus einer offenen Arterie gepumpt. Ich stürzte aus der Höhle, um das Boot klarzumachen, den Benzintank
     aufzufüllen und aus den Schwimmwesten ein behelfsmäßiges Lager zu bereiten. Plötzlich fiel mir auf, wie still es mit einem
     Mal war. Die Möwen waren verstummt. Sie hockten überall aufden Felsvorsprüngen und musterten mich. Ich schreckte auf, als die erste mit den Flügeln schlug und davonflog. Ihr folgte
     eine zweite, dritte, dann noch eine, und in Sekundenschnelle zerstoben sie in alle Himmelsrichtungen. Ich stand eine Weile
     da und sah ihnen zu, wie sie in der Ferne immer kleiner wurden, dann begab ich mich wieder in die Grotte. Ich wusste bereits,
     dass Lucs Leiden zu Ende war.
    Er hat sich aufgemacht. Er hat seinen Frieden gefunden. Mit weit aufgerissenen Augen blickt er zur felsigen Höhlendecke mit
     den Darstellungen von Ftans Herrlichkeiten empor und scheint grenzenlos zu staunen. Als sei er während einer außergewöhnlichen
     Vision aus dem Leben geschieden, während eines Traumes, so erhaben, dass man daran sterben kann.
     
    *
     
    Ich ließ den Tag verstreichen, um ganz sicher zu sein. Erst in der Dämmerung machte ich mich daran, ihm seinen letzten Wunsch
     zu erfüllen. Ich zog ihm seine schönsten schrägen Sachen an, schmückte seine Arme und Beine mit seinen Lieblingsketten und
     Armreifen und hüllte ihn zusammen mit dem Leguan in ein Leichentuch aus lebendigen Algen. Die Nacht war so ganz nach seinem
     Geschmack: lau, makellos, von einem gewaltigen Mond erleuchtet, mit einer Brise, die ganz sacht über die glatte Haut der Wasseroberfläche
     strich. Sie war eine Opfergabe der Tropen, eine Huldigung, die sie ihmerwiesen; ich hätte mich nicht gewundert, wenn sich in der Bucht Mangroven gespiegelt hätten. Ich legte Luc in das Schlauchboot,
     umfuhr die Riffe
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