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Das Lächeln des Leguans

Titel: Das Lächeln des Leguans
Autoren: dtv
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übersetzt mir ihre zarten
     Zwiegespräche. Außerdem erzählt er von den Herrlichkeiten der Stadt, den belebten gewundenen Gassen, den friedvollen Umgangsformen
     und edlen Tugenden des unterseeischen Volkes. Er entwirft ein paradiesisches Bild, und ich ertappe mich dabei, dass ich ihm
     glaube; alles ist so schön, so viel einfacher. Ich weiß sehr wohl, dass es sich nur um äußerst fragile Poesie handelt, um
     die flüchtige Chimäre einer ungezügelten Fantasie, aber warum sollte ich ihn darauf hinweisen und eine fruchtlose Diskussion
     vom Zaun brechen? Die nahe Zukunft wird Luc lehren, dass Ftan ein bloßes Konstrukt seines Geistes ist, und wenn wir uns deswegen
     bis zur Île aux Œufs aufmachen müssen.
     
    *
     
    Er hat mir den Leguan geschenkt. Es fiel ihm nicht leicht, seinen alten Lehrmeister auf dem Gebiet der Träume zurückzulassen,
     aber wie sollte er ihn dorthin mitnehmen, wohin er sich begibt? Ich habe ihm versprochen, mich um die Echse zu kümmern, aber
     ehrlich gesagt weiß ich nicht, was ich damit anfangen soll, denn sie liefert mir nur noch absonderliche, unverständliche Träume,
     in denen stechende Vogelblicke und meergrüne Visionen von versunkenen Schiffen einander ablösen. Ob die Traummaschine wohl
     kaputt ist? Vielleicht ist sie ja durchgebrannt, als eine Folge von Lucs Traumbulimie? Jedenfalls bin ich von nun an für das
     Reptil verantwortlich, und Luc hat mir geraten, mich gut darum zu kümmern, da es in Zukunft die einzige mentale Verbindung
     zwischen uns sein werde.
     
    *
     
    Mit dem auflaufenden Wasser der vierten Flut schlug das Wetter plötzlich um. Die Luft erstarrte, und der Himmel schloss sich
     wie ein Mund. Die Wolken wallten auf, der Wind biss sich in den Schwanz, und ein Unwetter brach los, das bloße Vorspiel zu
     einer noch unbändigeren Raserei. Weil er befürchtete, dass sein Aufbruch in Gefahr sei, ging Luc an den Saum der gierigen
     Wellen und improvisierte einen frenetischen
Makusham
. Vom Eingang zur Grotte aus sah ich ihn ins Pandämonium brüllen und wie ein verrückter Faun im prasselnden Regen tanzen.
     Als gischtverschmierter galvanisierter Wasserspeier beschimpfte erdie wütenden Elemente: Während die Blitze ihn fotografierten, befahl er ihnen, sich zu unterwerfen und endlich nachzugeben.
     Er schleuderte dem Chaos furchterregende Beschwörungen entgegen. Er wollte sich um keinen Preis geschlagen geben, zumal seine
     Identität und sogar sein Leben auf dem Spiel standen. Und im Laufe der Nacht gelang es ihm schließlich, das Unwetter zu vertreiben.
     Stattdessen legte sich ein dichter Nebelvorhang über das ermattete Meer, über den Luc sich freilich nicht beklagen konnte,
     denn er hatte ihn mit seiner Raserei selbst heraufbeschworen. Eine unerwünschte Nebenwirkung.
    Kein Windhauch kräuselte nunmehr den Ozean, doch das Wetter blieb unbeständig. Luc wollte nicht noch länger warten. Er sammelte
     sich ein letztes Mal neben dem Leguan und gab dann den Befehl zum Aufbruch. Wir verließen die Bucht und gelangten im doppelten
     Schutz des Nebels und der Dunkelheit zu den Stränden von Ferland. Es galt noch, die Frage unseres Transports zu klären, denn
     laut Karte liegt die Île aux Œufs etwa fünfzehn Kilometer vor der Küste; zu weit, um bis dorthin zu schwimmen. Luc hatte jedoch
     alles bedacht, und nachdem ich mir im dichten Nebel auf der alten Mole von Pointe-Rouge eine Stunde lang die Beine in den
     Bauch gestanden hatte, kam er schließlich im Schlauchboot seiner Taucherfreunde angetuckert. Ich zog es vor, anzunehmen, dass
     er die Erlaubnis habe, sich den heiligen Nachen auszuleihen, sprang an Bord, und ohne einen Kompass tauchten wir ein in den
     behäbigen Leib des Nebels.

30
    »Sobald Gasblasen ins zentrale Nervensystem (Gehirn, Rückenmark) gelangen, kommt es zu neurologischen Komplikationen, die
     sich meist infolge zu raschen Auftauchens einstellen. Ein solcher Unfall kann, sofern er nicht umgehend behandelt wird, sehr
     ernste Folgen haben.«
     
    Es wimmelte nur so von Vögeln. Sie hockten überall auf den Felsen und in jeder Pore der Stirnseite der Insel, Möwen und Seeschwalben,
     Eisvögel, Papageitaucher und auch ein paar Albatrosse. Selbst in unserer Nähe trieben sie wie Lockvögel auf dem Wasser. Wir
     befanden uns im Reich der Vögel. Die Insel hieß nicht umsonst Île aux Œufs.
    Nachdem wir den ganzen Tag durch den Nebel geirrtwaren, hatten wir unser Ziel erreicht. Nachdem wir inmitten eines teilnahmslosen Nordens alles
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