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Das Lächeln des Leguans

Titel: Das Lächeln des Leguans
Autoren: dtv
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changierenden Avenuen der Sirenenstadt Ftan zu weichen.
    Ich weiß nicht, was ich von dem Ganzen halten soll. Ich höre Luc zu, während er mir seine wundersame Vision bis in jede Einzelheit
     zu schildern versucht, aber das scharlachrote Bild des ausgeweideten Schweinehundes lässt mich einfach nicht los. Wann wird
     man den Leichnam entdecken und alles herausfinden? Sollte ich meinen Freund überreden, sich freiwillig zu stellen, oder ihm
     lieber raten, das Weite zu suchen? Wäre es nicht ratsam, die Leiche zu verstecken, sie irgendwo zu verscharren und alle Spuren
     zu beseitigen? Auf jeden Fall wird Luc nicht auf mich hören. Es ist, als ginge ihn all das nichts an. Er erklärt, er werde
     seinen Unterschlupf in der Bucht nie wieder verlassen. Dort werde er von nun an mit dem Leguan leben, um ihm Gesellschaft
     zu leisten, und mit mir, wann immer ich die Lust verspürte, ihn zu besuchen. Er habe schließlich den Wasserfall, um seinen
     Durst zu löschen, und für alles Übrige das Meer, sonst brauche er nichts, er werde glücklich und zufrieden sein, werde malen,
     träumen und in Freiheit das ursprüngliche Leben führen können, das ihm so viel bedeute. Der arme Luc wähnt sich in der Bucht
     in Sicherheit. Er bildet sich ein, man würde ihn irgendwann vergessen, er könne den Nachforschungen entgehen und der Zeit
     entrinnen, aberda macht er sich natürlich etwas vor. Dabei weiß er doch, dass die Polizisten Hunde haben, die einen schrägen Typen wie ihn
     bis weit in Les Gigots hinein aufspüren können, dass sie über Schiffe, Helikopter und alles Nötige verfügen, um jemanden ausfindig
     zu machen, aber das ist ihm egal. Ob das Skelett des Schweinehundes inmitten der Einzelteile des verdammten Motors verrotte
     oder man komme und ihn festnehme, sei ihm egal. Er werde von nun an nur noch leben, um zu träumen und nach Ftan zurückzukehren.
     Nichts anderes sei ihm wichtig.
    Die Realität ist für Luc nicht länger ein Problem, aber für mich, und zwar umso mehr, als wir uns seit über einem Tag nicht
     mehr zu Hause haben blicken lassen. Mama dürfte mir in Gedanken eine gehörige Standpauke halten, und ich sollte sie wirklich
     nicht länger ihren Ängsten überlassen. Ich muss nach Hause gehen. Ich frage mich, wie ich Lucs Verschwinden rechtfertigen
     soll. Man wird mich ausfragen, und ich werde irgendetwas antworten müssen. Wie soll ich ihnen nur beibringen, dass mein Freund
     den Strand mit den Eingeweiden seines vermeintlichen Vaters geschmückt hat und sich für einen Fisch hält?
     
    *
     
    Die drei empfingen mich mit eisigen Mienen, und ich musste ein wahres Familientribunal über mich ergehen lassen. Man beschuldigte
     mich, die ganze Hausgemeinschaft zu Tode geängstigt zu haben. Man wollte unbedingthören, wo Luc und ich die Nacht verbracht hatten, vor allem aber, wo mein Komplize sich versteckt halte, anstatt vor diesem
     Gericht zu erscheinen. Weil wir uns geschworen hatten, über die Geheimnisse der Bucht kein Sterbenswörtchen preiszugeben,
     wusste ich nicht, was ich antworten sollte, und erfand eine unbeholfene Geschichte − wir hätten ganz plötzlich die Idee gehabt,
     im Freien zu übernachten −, aber mir wurde schon bald klar, dass ich dadurch alles nur noch schlimmer machte. Man drohte mir
     mit Hausarrest, solange ich nicht mit der Wahrheit herausrücke. Da ich sehr wohl wusste, dass ich nicht die Kraft aufbringen
     würde, immer weiter zu lügen, beschloss ich, mich meiner Mutter anzuvertrauen, und erzählte ihr unter vier Augen, was geschehen
     war. Ich hätte alles darum gegeben, ihr dieses entsetzliche Geständnis zu ersparen, aber die Situation ließ sich nicht beschönigen,
     und es war ein schwerer Schlag für sie. Ich schilderte Mama Lucs verzweifelten Zustand und versuchte, sie davon zu überzeugen,
     dass ich ihn unbedingt aufsuchen und mich um ihn kümmern müsse, doch sie war zu aufgewühlt. Sie sagte, sie müsse erst darüber
     nachdenken, und schickte mich ins Bett.
    Es ist inzwischen dunkel, und ich muss immerzu an Luc denken. Was treibt er wohl so ganz allein in der Bucht? Ist er beunruhigt,
     weil ich noch nicht zurück bin? Glaubt er, ich hätte ihn im Stich gelassen? Aber vielleicht mache ich mir ja umsonst Sorgen:
     Bestimmt träumt er bereits wie ein seliger Säugling von der »Großen Medusa«.

28
    Mama kam frühmorgens zu mir, um mir ihre Entscheidung mitzuteilen: Sie gebe mir vierundzwanzig Stunden Zeit, um Luc nach Hause
     zurückzuholen, danach würde
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