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Das Lächeln des Leguans

Titel: Das Lächeln des Leguans
Autoren: dtv
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zurückhalten werden. Ob »leicht« oder
     nicht, er braucht einen Arzt, und ich habe ihn zu überreden versucht, mit mir nach Hause zu kommen, was vergebliche Liebesmüh
     war. Selbst Mamas Botschaft konnte ihn nicht erweichen: Er hat mich nur gebeten, ihr auszurichten, dass er auf keinen Fall
     Gefahr laufen dürfe, geschnappt zu werden, da er eine Verabredung mit seiner Mutter habe, die sich nicht aufschieben lasse.
     Mein Freund driftet ab. Am schlimmsten ist, dass er absolut vernünftig wirkt. Er sagt, er könne meine Skepsis gut verstehen.
     Das Ganze klinge höchst unwahrscheinlich, völlig verrückt, deshalb schlage er mir vor, mir doch selbst ein Urteil zu bilden:
     Er möchte, dass ich ihn zur Îleaux Œufs begleite. Möchte, dass ich die »Leichten« mit eigenen Augen sehe, ihre überwältigende Schönheit bestaune und erkenne,
     dass sie wirklich existieren. Dort, auf der Insel, wolle er sich von mir verabschieden, allerdings sollten wir uns vor dieser
     Trennung nicht fürchten, da wir ja dank des Leguans miteinander in Verbindung blieben. Außerdem verspricht er, mich des Öfteren
     im Traum zu besuchen und wenn möglich auch persönlich, an Tagen, an denen die Flut besonders hoch steige.
     
    *
     
    Er stand vor mir und wartete auf eine Antwort. Er wollte unbedingt wissen, ob ich ihn zur Insel begleiten würde. Einen Augenblick
     lang spielte ich mit dem Gedanken, ihn zu überwältigen, doch meine Chancen standen schlecht. Ich verwarf diesen gewagten Einfall
     und bat um etwas Bedenkzeit. Während er sich in den Wogen vergnügte, fragte ich den Leguan um Rat. Ich flehte die Echse an,
     etwas zu unternehmen, vor allem aber meinem Freund diese wahnwitzigen Träume zu ersparen, die ihn dermaßen aufwühlten, doch
     der Saurier lächelte nur. Eine Sphinx der südlichen Meere. Eine räudige Gioconda, in deren Augen Irrlichter spukten.
     
    *
     
    In der Stille der Grotte merkte ich, wie meine Gedanken immer klarer wurden und sich mir eine Schlussfolgerung aufdrängte:
     Da ich Luc weder zur Vernunft bringen nochzu irgendetwas zwingen konnte, blieb mir nichts anderes übrig, als ihn zu begleiten. Ich musste bei seinen Wahnvorstellungen
     mitspielen.
     
    *
     
    Ich habe ihm einen neuen Pakt vorgeschlagen: Ich werde ihn zur Île aux Œufs begleiten und seinen Aufbruch mit den Tritonen
     nicht verhindern, unter der Bedingung, dass er mir für den Fall, dass jene nicht zur Verabredung erscheinen, verspricht, ohne
     Widerrede mit mir zu kommen. Diese Abmachung war ihm recht – er ist sich seiner Sache vollkommen sicher. Und wir besiegelten
     das Ganze mit dem Krabbenschwur, beide der festen Überzeugung, den Deal des Jahrhunderts gemacht zu haben. Eine denkbar schräge
     Vereinbarung, wie sich herausstellen sollte.
     
    *
     
    Ich konnte Mama nicht persönlich Bescheid sagen, da sie mich nicht wieder fortgelassen hätte. Also schlich ich in der Dunkelheit
     nach Hause und schob einen Brief unter der Tür hindurch, in dem ich sie bat, mir zu vertrauen und noch drei weitere Tage zu
     gewähren. Gerade geht die erste Flut zurück. Jetzt brauchen wir nur noch die siebte abzuwarten.

29
    In der Bucht fließt die Zeit träge dahin, während Luc seinen Aufbruch vorbereitet. Er hat viel zu tun. Zunächst hat er Hunderte
     von Seiten, die mit seinen Haikus in »leichter« Sprache bekritzelt sind, geordnet und dann eilig sein Fresko fertiggestellt
     und mit fließenden Hieroglyphen signiert, die auf Ftanisch seinen Namen und seinen Rang bezeichnen.
    Augenblicklich bereitet er sich auf seine Metamorphose vor, und diese nahende Wiedergeburt lässt ihn an nichts anderes denken.
     Er vollführt auf dem Strand ungewöhnliche Tänze, wogende rituelle Choreografien, kauert sich in seiner Leguanhaltung ins Watt
     und meditiert, wobeier kehlige Laute ausstößt, die an jene der Inuit erinnern. Noch fünf Gezeiten   …
     
    *
     
    Er schläft nicht mehr, ohne auch nur im Geringsten müde zu werden. Der Schlaf ignoriert ihn, aber zum Träumen braucht er ihn
     ohnehin nicht mehr: Er ist inzwischen so intensiv mit der Ftan-Welt verbunden, dass er, um dorthin zu gelangen, nur die Augen
     zu schließen braucht. So vermag er die Reise der Abgesandten der Königin zu verfolgen, jener majestätischen Tritonen, die
     sich blitzschnell auf ihn zubewegen und in ihrem Kielwasser nur eine Spur aus aufgewirbeltem Plankton hinterlassen.
    Und abends, am Feuer, beschwört er die bläuliche Sirene herauf, die über die Ranken regiert. Er
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