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Das Lächeln des Leguans

Titel: Das Lächeln des Leguans
Autoren: dtv
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Tsunami? An einer zu starken Woge der Gefühle? Wie alt wird eigentlich ein Hai?
     
    *
     
    Trotz der Möwen bin ich niemals als Erster am Strand. Vor mir ist immer schon dieser andere Typ da: Luc Bezeau, der so aussieht,
     als käme er von einem anderen Stern, mit seinen bescheuerten Stiefeln, seinem clownsähnlichen Gang und der Kappe mit dem Abzeichen
     eines Schwertransportunternehmens, die seiner beunruhigenden Magerkeit ironischerweise noch die Krone aufsetzt. Er kommt von
     Westen her, wobei er wie ein Hausmeister seinen Abfallsack hinter sich herzieht, und sucht den Strand ab. Er liest die tags
     zuvor im Umkreis der Lagerfeuer von unachtsamen Dorschfischern und anderen Gelegenheitszigeunern zurückgelassenen leeren Flaschen
     auf. Ersammelt in einem Beutel Muscheln, Krebspanzer, Federn und Bartenstücke. Anfangs hielt ich ihn noch für eine Art Umweltschützer,
     doch als ich sah, wie in seinem Kielwasser aller möglicher Abfall zurückblieb, ließ ich mich eines Besseren belehren. Er taucht
     bei jedem Wetter auf, als erfüllte er eine Mission, außer am Sonntag, dann hat er religiöse Verpflichtungen. Er ist nämlich
     Messdiener in der Dorfkirche, und da ich Großmutter dorthin begleite, kann ich ihn dabei beobachten, wie er Pater Loiselle,
     diesen Gasriesen, wie ein brauner Zwerg umkreist. Luc ist ein sonderbarer Chorknabe. Mit dem zu kurzen Gewand, das die schweren
     Stiefel bloßlegt, seiner Ähnlichkeit mit einem schlechten Witz, der kohlrabenschwarzen hawaiianischen Mähne und vor allem
     dem fernen Mandelblick, diesen seltsamen Röntgenaugen, die er auf einen richtet, als sähe er durch einen hindurch, könnte
     man meinen, er sei einem Ufo oder Wäschetrockner entstiegen, was ihn allerdings nicht davon abhält, kompetent seines Amtes
     zu walten. Er zelebriert die Messe mit päpstlichem Ernst. Feierlich steht er, sich gelegentlich unauffällig kratzend, wie
     eine Art liturgischer Wachhund neben dem Altar und kommt allen Gesten des Priesters zuvor. Es wirkt so, als würde er den Ablauf
     des Rituals per Fernbedienung steuern. Während der Predigt steht er in Habachtstellung da, wobei seine Arme aus den zu kurzen
     Ärmeln hervorschauen, aber dennoch wachsam, gerüstet zum Sprung, bereit, jeden Moment loszulegen wie ein Töpfer, und dann
     sieht man nur noch, wie seine Finger sich bewegen,sich drehen und wenden. Würde man ihm einen Stetson aufsetzen und ihn auf die Hauptstraße von Dodge City stellen, könnte man
     ihn glatt für einen Revolverhelden im entscheidenden Moment eines Duells halten. Der Stranddesperado. Der Typ, der sein Messkännchen
     schneller zieht als sein eigener Schatten. Der schnellste Klingler der westlichen Welt. Ich muss zugeben, dass er mir mit
     seiner Unnahbarkeit eines spröden Schwammes imponiert. Sein Gesicht eines Erforschers des Jenseits entspricht meiner düsteren
     Stimmung und weckt meine Neugier. Wenn er es zulassen würde, hätte ich mich gern mit ihm angefreundet oder ihn wenigstens
     auf seinem Gang über den morgendlichen Strand gegrüßt, aber das ist undenkbar, denn für solche Vertraulichkeiten ist er nicht
     zu haben. Sobald er mich unten am Fahnenmast oder beim Verzehr eines Muffins auf der Brücke sieht, macht er sich, ohne mich
     eines Blickes zu würdigen, sogleich aus dem Staub. Liegt das an seiner übermäßigen Schüchternheit? Ist er vielleicht für die
     tragische Aura, die mich umgibt, allzu empfänglich? Jedenfalls meidet er meine Gestade wie Odysseus manche berüchtigten Regionen
     des Ägäischen Meeres. Er geht nach wie vor an unserem Haus vorbei, weil ihm nichts anderes übrig bleibt, allerdings eilig,
     ohne stehen zu bleiben, und entfernt sich überstürzt, gefolgt vom Schatten einer Angst, die ich nicht begreife.

2
    Papa litt unter Schneemobilitis, einer nördlich des fünfzigsten Breitengrades weit verbreiteten Krankheit, wegen des Nordens,
     der so schwer auf einem lastet, und des Winters, den man auf die eine oder andere Weise bändigen muss. In den meisten Fällen
     legen sich die Symptome mit Erwachen des Frühlings wieder, doch in Papas Fall war das Leiden chronisch, ja sogar chronologisch,
     und unheilbar. Es war eine Leidenschaft, die gegen die therapeutische Hitze des Sommers resistent blieb, ein latentes Fieber,
     das vom Herbst entfacht, von den Oktoberstürmen geschürt und von den wohltuenden ersten Schneefällen endgültig entflammt wurde.
     Vom Motorschlittenfahrenkonnte Papa einfach nicht genug bekommen. Er hätte auf
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