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Das Labyrinth der Wörter

Titel: Das Labyrinth der Wörter
Autoren: Marie-Sabine Roger
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Ihrem Messer«, habe ich gesagt.
    Das stimmte nicht: Ich kann nur mit einem Opinel und meinem Stechbeitel schnitzen. Aber ich wüsste nicht, inwiefern so eine kleine Lüge dem Herrn was ausmachen sollte, da er ja in Seinem neunten Gebot nur gesagt hat: Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten . Ansonsten hat Er es nicht verboten zu lügen. Da werde ich ja wohl nicht päpstlicher sein als der Papst.
    Jedenfalls war Margueritte sehr bewegt, als ich von ihrem Messer geredet habe, das habe ich genau gesehen: Sie hat ein feuchtes kleines »Ooh!« von sich gegeben und meine Hand gedrückt. Und dann hat sie ihren Stock den ganzen Nachmittag nicht mehr losgelassen. Also war es doch gut, die Sache etwas auszuschmücken.
    Nach einer Weile hat sie zu mir gesagt: »Germain, wussten Sie, dass es vierhändige Partituren gibt, für Klavier?«
    »Was für Dinger?«
    »Manche Musikstücke können von zwei Personen zusammen gespielt werden, auf dem gleichen Instrument. Das heißt, eigentlich nur auf dem Klavier …«
    »Klar, auf der Blockflöte stelle ich es mir schwierig vor.«
    Sie hat ihr Glöckchenlachen gelacht und gesagt: »Und da habe ich mir gedacht … ich meine, wenn Sie einverstanden sind, natürlich … Ich dachte mir, dass wir vielleicht zu zweit lesen könnten, solange noch Zeit ist.«
    »Dass wir vieräugig lesen, ja?« Und dann habe ich gesagt: »Na klar!«
    Das wird mir gefallen.

 
    A m nächsten Tag waren wir bei Francine und haben die Kneipe gehütet, während sie einkaufen war. Ich habe mein Messer hervorgeholt und mir damit die Nägel sauber gemacht, so als ob nichts wäre.
    Marco hat gerufen: »Donnerwetter! Was für ein herrliches Stück!«
    »Zeig mal her«, hat Julien gesagt.
    Landremont hat es auf Herz und Nieren geprüft, auf- und wieder zugeklappt, ist mit dem Daumen über die Schneide gefahren, als würde er was von Messern verstehen.
    »Das ist saubere Arbeit«, hat er gesagt. »Wo hast du das denn ausgegraben?«
    »Es ist ein Geschenk.«
    Sie haben gefragt: »Von wem?«
    »Von meiner Großmutter«, habe ich gesagt, ohne deutlicher zu werden.
    » Deiner Großmutter?«, hat Landremont gemeint. »Redest du von der, die wir kennen? Der Mutter von deiner Mutter?«
    »Von meiner Großmutter«, habe ich wiederholt.
    »Die alte Hexe? Die macht dir jetzt Geschenke? Ich dachte, sie kann euch nicht leiden, deine Mutter und dich …«
    »Die Weiber in deiner Familie haben wirklich einen Schuss«, hat Marco gemeint. »Ein Glück nur, dass du keine Schwester hast!«
    Ich wollte ihm gerade sagen, dass er mich damit in Ruhe lassen soll, als Jojo sich auf ein Gläschen zu uns gesetzt hat.
    Er hat gesagt: »Mannomann, du hast ja ein verdammt schönes Messer!«
    Und bevor ich dazu kam, zu antworten, hat er weitergeredet: »Jungs, wir müssen bald Abschied nehmen … Ich ziehe um, habe in Bordeaux einen Job gefunden.«
    Wir haben gesagt: »Ach?«
    Julien hat bemerkt, das wäre ja nicht gerade nebenan.
    »Aber eine schöne Stadt«, hat Landremont gemeint, der nie aus seiner Werkstatt rauskommt, aber viele Zeitschriften liest.
    Marco hat gefragt: »Weiß Francine Bescheid?«
    »Nee, ich hatte vor, heute Nacht klammheimlich abzuhauen …«
    »Das ist aber nicht sehr nett von dir«, hat Marco gemeint.
    »Vor allem ist es nicht wahr! Natürlich weiß Francine Bescheid! Was denkst du denn, du Esel? Dass ich abhaue wie ein Lump? Ich habe ganz normal gekündigt und werde auch etwas länger hierbleiben, wenn es nötig ist, um den Neuen anzulernen.«
    Marco hat mit den Schultern gezuckt. »Ehrlich, ich weiß nicht recht, ob das der richtige Moment ist, verstehst du? Die arme Francine dreht uns noch durch. Erst lässt Youssef sie sitzen, und jetzt haust du auch noch ab …«
    Jojo hat gelacht. »Mach dir mal nicht zu viele Gedanken! Seit gestern Abend geht es Francine wieder viel besser …«
    Wir haben ihn nicht gefragt, warum, weil sie genau in dem Moment reingekommen ist, mit einem fröhlichen Gesicht und Youss im Schlepptau, die Arme voller Einkaufstaschen.
    »So ist das also …! Sieht so aus, als hätte sich das Liebesleben wieder eingerenkt!«, hat Marco gerufen.
    Youssef hat uns zugezwinkert. »Ich lade schnell ab, dann bin ich da.«
    »Dein Privatleben geht uns ja nichts an«, hat Julien gemeint und gelacht.
    Dann haben wir rumgeblödelt, während wir auf Youssef warteten, und als er aufgetaucht ist, hat Landremont zu ihm gesagt: »Francine scheint dich ja wieder ein bisschen weniger zu
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