Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Labyrinth der Wörter

Titel: Das Labyrinth der Wörter
Autoren: Marie-Sabine Roger
Vom Netzwerk:
hassen.«
    Und Youssef: »Wie, sie hasst mich weniger? Sie hasst mich kein bisschen! Warum sollte sie mich hassen, wo ich doch zurückgekommen bin, hat sie dir was gesagt oder wie?«
    »Ist ja schon gut!«, hat Landremont gerufen. »Beruhig dich wieder, ich hab nur Spaß gemacht …«
    Und ich habe hinzugefügt: »Das war eine Litotes.«
    Youssef hat gefragt: »Was für ein Ding?«
    »Eine Litotes. Er hat ›schwarz‹ gesagt, um besser ›weiß‹ zu sagen, wenn du so willst. ›Sie hasst dich ein bisschen weniger‹, das bedeutet: Sie liebt dich. Mann, bist du manchmal schwer von Begriff!«
    »Ja, genau«, hat Landremont geseufzt. »Eine Litotes.« Und er sah mich dabei bekümmert an, so wie jetzt immer, wenn ich was Intelligentes sage. Es fehlt nicht viel, und er würde mir die Hand an die Stirn legen, um zu schauen, ob ich vielleicht Fieber habe.
    Dann hat er hinzugefügt: »Germain, nichts für ungut, aber ich erkenne dich nicht wieder. Ich frage mich, ob du mir vorher nicht lieber warst, denn manchmal machst du mir Angst, verstehst du?«
    »Das stimmt, du hast dich verändert«, hat Marco gesagt. »Du trinkst fast nichts mehr, du erzählst keine Witze mehr, du sagst Wörter, die keiner versteht … Am Ende wirst du nur noch mit Annette vögeln, pass bloß auf!«
    Ich habe nichts geantwortet.
    Es stimmt, dass ich sie vorher zum Lachen brachte. Ich erzählte immer irgendwelche Zoten oder Witze über Belgier, Juden oder Schwarze. Nicht über Italiener, wegen Marco, und auch nicht über Araber, wegen Youssef. Die Freunde sind mir heilig.
    Heute habe ich kapiert, dass solche Geschichten eigentlich nicht lustig sind. Aber wenn man besoffen ist, sinkt die Schwelle, da lacht man über jeden Mist. Es wird schnell zur Gewohnheit, ein Blödmann zu sein, wissen Sie? Ich sage das ein bisschen aus Erfahrung.
    Zuerst ist es aus Faulheit, und dann bleibt man auf dem Niveau.
    Und dann trifft man eines Tages beim Taubenzählen rein zufällig eine noch verfügbare Großmutter und endet bei der Pest, den Jíbaros und diesem armen Monsieur Gary, der immer noch um seine Mutter weint. Und bei diesem Mädchen in Venedig, nur dass es eigentlich mitten im Ozean ist. Ganz zu schweigen vom Wörterbuch, das doch ein fesselndes Ding ist, wenn man bedenkt, wie viel Zeit man verliert, darin was zu finden. Und nach und nach sieht man nichts mehr so wie vorher. Man interessiert sich nicht mehr für die gleichen Dinge. Man vögelt nicht mehr, sondern macht Liebe. Man erträgt seine Mutter. Man geht in Bibliotheken.
    Und so weiter.
    Da ist es doch klar, dass man auch vom Verhalten her nicht der Gleiche bleibt.
    Ich verstehe meine Kumpels und habe da nichts zu kritisieren. Ich kann eben nicht allen gefallen: ihnen und gleichzeitig mir selbst.
    Aber eigentlich ist mir das scheißegal.

 
    D ann habe ich eines Morgens meine Mutter gesehen, wie sie im Regen mitten in den Salatköpfen stand und sich mit dem Gartenschlauch unterhielt.
    »Du solltest besser reingehen«, habe ich gesagt.
    »Und warum?«
    »Weil es regnet.«
    »Ich weiß schon, worauf du hinauswillst mit deinen miesen Tricks«, hat sie gesagt.
    »Okay, wie du willst – es regnet nicht. Es fällt nur Wasser vom Himmel. Schau doch mal, wie deine Pantoffeln aussehen!«
    Ich habe sie zurück ins Haus gebracht. Sie wollte nicht und brüllte, ich sollte sie loslassen, ich undankbarer, schmutziger Rotzbengel, und ich sollte mich was schämen, eine arme Frau wie sie so zu misshandeln. Ich habe mir gesagt, eines Tages rufen die Nachbarn noch die Polizei, und dann wird der Katastropheneinsatzplan ausgelöst, mit allem Drum und Dran.
    Ich musste sie fast tragen, sie ließ sich hängen, und sie ist nicht gerade ein Leichtgewicht.
    In ihrem Zimmer hatte sie ihr schwarzes Kleid auf einem Bügel an den Schrank gehängt.
    »Gehst du zu einer Beerdigung?«, habe ich gefragt. »Ist es so weit? Ist der alte Dupuis gestorben?«
    »Nein, das Kleid ist für mich. Dafür, wenn ich gehe. Ichwill, dass man mich in dem da begräbt, es ist das ordentlichste.«
    »Was ist denn in dich gefahren?«, habe ich gesagt. »Du lebst noch zwanzig Jahre!« Und in meinem Inneren dachte ich: Wenn nicht sogar dreißig, du zähes Luder.
    Da sie nicht besonders gut aussah, habe ich ihr einen Kaffee gekocht und sie ins Bett gesteckt.
    Und dann bin ich zu Landremont gefahren, damit er mir half, meine Zündung einzustellen.
    Am Abend war sie tot.
    Es ist bescheuert, aber ich hätte geschworen, dass sie mich begraben würde.
    Ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher