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Das Labyrinth der Wörter

Titel: Das Labyrinth der Wörter
Autoren: Marie-Sabine Roger
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Heftbacken und Platinen aus Messing, und dazu ein schönes Lederetui, um es bei sich zu tragen.
    Ein Messer, das ein Heidengeld kosten würde, sogar bei den Jíbaros.
    »Ich muss Ihnen eine Münze dafür geben«, habe ich gesagt und in meiner Tasche gekramt.
    »Eine Münze? Warum?«
    »Weil wir sonst Streit bekommen würden. Wussten Sie das nicht?«
    »Nein. Erklären Sie es mir?«
    »Wenn man jemandem ein Messer schenkt, muss der einem immer ein bisschen Kleingeld dafür geben, im Tausch. Na ja, ich habe nur zwanzig Cent bei mir, aber es ist ja nicht der Wert, der zählt. Legen Sie die Münzen beiseite, Sie dürfen sie nicht ausgeben!«
    Margueritte hat sehr ernst die Hand ausgestreckt. Sie hat gesagt: »Oho! Da muss ich aber einen sicheren Ort finden, den niemand außer mir kennt, um diesen kostbaren Schatz zu verstecken …«
    Ich habe sie auch deshalb so gern, weil sie ein bisschen spinnt.

 
    I ch habe getan, was ich gesagt habe. Ich bin hingefahren, um mir die Stöcke aus Kastanienholz anzuschauen. Aber allein. Nicht, weil ich Annette nicht dabeihaben wollte, aber ich hatte eine Idee im Kopf, und in solchen Momenten darf man mich nicht stören. Baralin, der Mann, der die Stöcke macht, ist ein Bekannter von mir.
    Ich habe zu ihm gesagt: »Clément, ich brauche einen schönen Stock, nur geschmirgelt, auf keinen Fall lackiert.«
    »Ist er für dich?«
    »Nein, für meine Großmutter.«
    »Wie groß ist sie denn?«
    Ich habe es ihm gezeigt. »Na ja, sie reicht mir ungefähr bis hier …«
    »Gut, dann nehmen wir mal besser die Kindergröße. Sie scheint ja nicht sehr hochgewachsen zu sein.«
    Er hat mich in einem Haufen aussuchen lassen. Ich habe zwei genommen, für den Fall, dass ich es verpatze.
    Am Anfang habe ich mich gefragt, was ich schnitzen sollte und ob nur am Griff oder den ganzen Schaft runter. Ich hatte beim Schnitzen noch nie an jemand Bestimmtes gedacht, außer einmal als Kind. Da hatte ich ein kleines Schaf gemacht, für Hélène Morin, in die ich verliebt war und die mich dann ganz schön blamiert hat, weil sie es in der ganzen Schule rumgezeigt hat, das Miststück. Ich habe sie mindestens einen Monat lang verflucht.
    Später hat sie dann den dicken Blödmann Boiraut geheiratet. Alles rächt sich irgendwann.
    Aber das jetzt war was ganz anderes.
    Ich habe mich für einen Taubenkopf entschieden, mit einem langgestreckten Hals, so wie wenn sie auf Brotkrümel lauern, das passte genau in die Biegung des Griffs. Und den Schnabel, den habe ich eher wie ein Relief ins Holz geschnitten, damit es weich in der Hand liegt und am Ende schön rund ist. Für die Augen habe ich mit dem Lötkolben zwei Löcher eingebrannt. Das hat den Kopf auf einmal unheimlich lebendig gemacht. Dann habe ich alles mit ganz feinem Sandpapier abgeschmirgelt, mit einem Fensterleder poliert und schließlich lackiert. Das Ganze hat eine Weile gedauert – aber verdammt, es hat sich gelohnt!
    Als ich fertig war, habe ich den Stock vor meinem Bett aufgestellt.
    Annette hat gesagt, er wäre wunderschön, und dann ist sie zum Schlafen bei mir geblieben.
    In der Nacht bin ich zweimal aufgestanden, angeblich zum Pinkeln, aber das war nur ein Vorwand, um den Stock zu betrachten. Ich habe noch keine Prostataprobleme.

 
    I ch konnte es kaum erwarten, ihr mein Geschenk zu geben. Als Margueritte am Ende der Allee aufgetaucht ist, hat mein Herz ganz laut geklopft.
    Ich bin aufgestanden, habe ihr den Stock hingehalten und gesagt: »Das ist für Sie!«
    Ich hätte nichts anderes sagen können.
    Sie hat mich von unten herauf angeschaut, den Kopf ein bisschen zur Seite gedreht. Sie hat den Stock genommen und wieder und wieder mit den Händen über den Griff gestrichen, ganz zart. Es sah aus, als würde sie eine echte Taube streicheln.
    Ich habe gefragt: »Gefällt er Ihnen?«
    »Nun, ich muss zugeben, dass er nicht hässlich ist …«
    Nicht hässlich? Verdammt, das hat mich getroffen wie ein Dolchstoß.
    »Das ist natürlich eine Litotes«, hat sie gesagt.
    »Nein, es ist eine Taube!«
    Sie hat gelächelt. »Germain, eine Litotes ist eine Stilfigur, das heißt, es ist bildlich gesprochen … Man sagt ›schwarz‹, um besser ›weiß‹ zu sagen. Zum Beispiel: Er ist nicht hässlich, das heißt in Wirklichkeit, dass ich den Stock ganz wunderbar finde. Er ist ein wahres Kunstwerk. Und ich bin sehr gerührt …« Plötzlich sah sie ganz aufgewühlt aus. »Das waren Sie, nicht wahr, Germain? Sie haben diesen Stock geschnitzt, oder?«
    »Mit
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