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Das Knochenhaus

Das Knochenhaus

Titel: Das Knochenhaus
Autoren: Stephen Lawhead
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einzelnen Vogels, der oben auf einer entfernten Klippe sitzen musste. Zufrieden darüber, dass er für einen Moment alleine war, ließ er die Luft aus den Lungen herausströmen. Immer noch war er erschüttert und fühlte sich innerlich wund wegen des Verlustes von Cosimo und Sir Henry; immer noch erinnerte er sich an das Gefühl, dem eigenen Ableben entgegensehen zu müssen, das jedoch gerade noch hatte abgewendet werden können. Mit diesen Gedanken im Hinterkopf stand Kit da und sann über den nächsten Sprung nach. Auch dachte er, dass alles viel zu schnell geschah. Er bemerkte, dass die Sonne im Osten gerade die zackige Linie der Hügelspitzen durchbrach. Wenn er nicht bald gehen würde, müsste er bis zum Abend warten, und das bedeutete höchstwahrscheinlich, der Katastrophe Tür und Tor zu öffnen. »Du kannst genauso gut damit weitermachen«, murmelte er vor sich hin.
    Mina hatte ihm gesagt, seinen Marsch bei der fünften Sphinx – vom Ende der Reihe aus betrachtet – zu beginnen und ihn bei der achten widderköpfigen Statue zu beenden, was eine Distanz von etwa dreißig Schritten bedeutete. Dabei sollte er kurz vor dem Erreichen des Ziels so rasch wie möglich gehen. Falls ihm beim Erreichen der achten Widder-Sphinx der Übergang in die andere Dimension nicht gelänge, müsste er jäh stehen bleiben, vorsichtig in seinen Fußspuren zurückgehen und es noch einmal versuchen. Wilhelmina hatte dies auf das Nachdrücklichste betont. Wenn er den Sprung präzise an dieser bestimmten Stelle der Allee durchführte, würde ihn das zu der vorher festgelegten Zeitperiode bringen – plus/minus einiger weniger Stunden, Tage oder vielleicht Wochen. Führte er den Sprung an irgendeiner späteren Stelle durch, würde er beim Übergang durch die Zeit weit vom Kurs abkommen – und vielleicht auch, was den Ort beträfe.
    Er schritt zu der von Mina genannten Sphinx an dem Ende der Allee, das weit vom Tempel entfernt war, drehte sich um und hielt kurz inne, um die achte Statue in der langen Doppelreihe genau ins Auge zu fassen. »Bereit oder nicht – hier komme ich«, sagte er und begann, rasch zu marschieren.
    Er spürte, wie die Luft um ihn herum bebte, und fühlte ein Prickeln auf seiner Haut. Heftige Windböen kamen auf, als er sich der von Mina bezeichneten Statue näherte. Er beschleunigte seine Schritte, als er fast auf gleicher Höhe mit der achten widderköpfigen Statue war, und machte sich auf den Übergang gefasst.
    Doch nichts geschah.
    Gegen jede natürliche Neigung zwang er sich, abrupt anzuhalten, so wie ihn Wilhelmina angewiesen hatte.
    »Schrecklich.« Er drehte sich um, schritt von der Ley-Linie weg und ging schnell zu seinem Ausgangspunkt zurück. »Aller guten Dinge sind zwei«, murmelte er und schritt aufs Neue los. Abermals fühlte er das inzwischen vertraute Kribbeln auf seiner Haut, als ob die Luft, wie kurz vor einem Blitzeinschlag, elektrisch aufgeladen wäre. Der Wind wehte böig und trieb ihm feine Sandkörner in die Augen, die sofort zu tränen begannen. Dadurch hatte er Schwierigkeiten zu sehen, wohin er ging. Er musste unbewusst den Schritt verlangsamt haben, denn er erreichte die achte Sphinx und hatte den Sprung noch immer nicht geschafft.
    »Scheiße!«, fluchte er leise vor sich hin. Hatte er etwa die Fertigkeit verloren?
    Der Gedanke, dass er womöglich in den Zwanzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts in Ägypten festsaß und ihm die Burley-Männer im Nacken saßen, war ihm schier unerträglich. Daher flitzte er zum Ausgangspunkt zurück und nahm dort seinen Platz ein, wobei er diesmal seine Fußspitzen an eine imaginäre Startlinie stellte. Er senkte den Kopf wie ein Sprinter, der auf den Startschuss wartete, murmelte: »Aller guten Dinge sind drei!«, und raste los.
    Diesmal hatte er den unbedingten Willen zu springen; er wurde getragen von einer Zielstrebigkeit, die bei den ersten beiden Versuchen fehlte. Vielleicht war es diese Entschlossenheit, die den Unterschied ausmachte: Als er sich der achten Sphinx näherte, spürte er, wie die Luft bebte; der Boden unter seinen Füßen zitterte, und die Welt um ihn herum wurde trübe und verschwommen – doch nur für den kürzesten aller Momente, den kleinsten aller Augenblicke. Er taumelte nach vorne, und wie ein Betrunkener, der seine Standfestigkeit falsch einschätzte, schwankte er benommen ein paar Schritte, bevor er sein Gleichgewicht wiederfand und stehen blieb.
    Als er wieder klar im Kopf wurde, bemerkte er, dass er sich beinahe
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