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Das Knochenhaus

Das Knochenhaus

Titel: Das Knochenhaus
Autoren: Stephen Lawhead
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worden: Er gelangte zu dem einen Ort, und sie verschlug es ... wohin auch immer? Kit wusste es bis jetzt noch nicht, weil sie behauptet hatte, nicht genügend Zeit zu haben, um es ihm zu erzählen.
    Diese und andere Fragen beschäftigten ihn in einem solchen Ausmaß, dass er ganz überrascht war, als er aufschaute und in naher Entfernung den wie eine Fata Morgana schimmernden Nil erblickte: ein sich sanft wellendes silbernes Band, das zwischen zwei Grünstreifen eingebettet lag und auf beiden Seiten von knochenfarbenen Hügeln und Wüstenhochland umgeben wurde. Der Anblick war so fesselnd, dass Kit eine Rast einlegte und sich einen großen Schluck Wasser gönnte, bevor er mit dem Abstieg begann. Im Schatten eines Felsvorsprungs setzte er sich nieder und schloss seine von der Sonne geblendeten Augen.
    Augenblicklich tauchte vor seinem inneren Auge wieder das Bild von den Leichen im Grabmal des Hohen Priesters Anen auf: die Körper seines armen toten Urgroßvaters und von Sir Henry Fayth, die der Länge nach in dem Sarkophag ohne Deckel lagen. Entsetzt über den Tod der beiden – und eingedenk des drohenden eigenen Ablebens –, fühlte er sich immer noch ein wenig wie betäubt. Aufgrund ihrer hastigen Flucht hatte er immer noch nicht Zeit gefunden, um über den Verlust der beiden Verstorbenen angemessen zu trauern. Was er derzeit empfand, war im Prinzip nicht Trauer, sondern ähnelte mehr einer aufgewühlten Feindseligkeit gegenüber Burleigh angesichts der bösartigen Vergeudung des Lebens jener guten Menschen. Aus Kits Sicht waren der Earl und seine Männer niederträchtiger, degenerierter Abschaum – durch und durch böse. In seinen aufkeimenden Rachefantasien dachte Kit sich originelle, qualvolle Bestrafungen für sie alle aus.
    Dies war das erste Anzeichen einer neuen Einstellung, die sich schnell in Kits Charakter ausbilden sollte: einer Grundhaltung, die man als unerschütterliche Entschlossenheit bezeichnen konnte. Vielleicht wurden ja auch endlich Spuren eines kräftigeren, robusteren Rückgrats bei ihm erkennbar. Zwar nahm es nur wenig mehr als die Form eines sich rasch verfestigenden Entschlusses an, das Geheimnis der Meisterkarte aufzuspüren, aber es war immerhin ein Anfang. Diese Suche mit vollem Ernst in Angriff zu nehmen, würde die beste Art der Anerkennung sein, die er Cosimo und Sir Henry bezeugen konnte. Wenigstens so viel hatten die beiden verdient.
    Was auch immer sonst gesagt werden konnte – die beiden hatten sicherlich nicht verdient, so zu sterben: niedergestreckt durch eine Ansteckung mit tödlichen Krankheitserregern oder etwas Ähnlichem, die durch die Luft im Grabmal übertragen wurden. Waren nicht Howard Carter und jene anderen Archäologen, die das Grabmal von Pharao Tutanchamun geöffnet hatten, auf die gleiche Weise getötet worden? Was auch immer das Grabmal befallen hatte – der liebenswerte alte Cosimo und Sir Henry waren dem erlegen. Und wenn Wilhelmina nicht aufgetaucht wäre, hätten er, Kit, und Giles zweifellos genau das gleiche Schicksal erlitten. Er fragte sich, ob er das Problem bereits richtig durchschaut hatte. Um die Wahrheit zu sagen, er fühlte sich im Moment nicht allzu stark. Was ich brauche , sagte er lautlos zu sich selbst, ist ein gutes Essen und ein erholsamer Nachtschlaf, um wieder durchzublicken. Das ist alles.
    War das etwa zu viel verlangt? Kit jedenfalls glaubte das nicht.
    Mit diesem Gedanken im Hinterkopf erhob sich Kit, stärkte sich mit einem weiteren Schluck Wasser und begann, den langen mäanderförmigen Pfad ins breite Niltal hinabzugehen. Nachdem er sich wieder auf den von Felsgestein übersäten Weg zurückbegeben hatte, traf ihn erneut die Hitze mit voller Wucht. Er dachte darüber nach, sein Hemd auszuziehen und es sich wie einen Turban um den Kopf zu wickeln. Doch das würde bedeuten, eine gegenwärtige Qual durch eine zukünftige einzutauschen, denn die Sonne würde seine Schultern braten, sobald sie ihr ungeschützt ausgesetzt wären. Daher entschied er, sich bei der ersten sich bietenden Gelegenheit einen guten Hut zu besorgen.
    Während er auf dem geborstenen Boden seinen Weg sorgfältig wählte, gelangte er immer tiefer ins Tal hinein. Die Luft wurde ständig ein wenig feuchter, je mehr er sich dem Fluss näherte. Obwohl er stetig vorankam, war er doch nicht so schnell unterwegs, wie er es sich erhofft hatte. Kit wusste zwar, dass man sich in der Wüste bei der Einschätzung von Entfernungen ziemlich täuschen konnte, dennoch schien es
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