Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Knochenhaus

Das Knochenhaus

Titel: Das Knochenhaus
Autoren: Stephen Lawhead
Vom Netzwerk:
um und sah in die hoffnungsvollen Gesichter seiner Untertanen. Sein Blick fiel auf ein junges Mädchen, das blaue Kornblumen in seinem Haar trug und einen kleinen Lorbeerzweig in den Händen hielt. »Du da, Kleine – wie lautet dein Wunsch?«
    Das Mädchen, das von seinem Vater nach vorne gestupst wurde, trat schüchtern näher. Es wagte nicht, den König anzublicken, und hielt den Kopf gesenkt; seine Augen waren auf den Lorbeer geheftet, den es mit zitternden Händen umklammerte.
    »Ist das für mich?«, fragte Turms und beugte sich zu dem Kind herab.
    Das Mädchen nickte.
    »Ich danke dir«, sagte er und nahm behutsam den kleinen Lorbeerzweig an sich. »Und die Götter danken dir.« Er legte eine Hand auf den Kopf des Kindes und spürte die schwache Hitze dort. »Was wünschst du dir von mir – was soll ich für dich tun?« Als sie zögerte, fuhr er fort: »Sprich, mein Kind. Der ganze Himmel steht bereit, um zu tun, was du willst.«
    »Es geht um meine Mutter«, antwortete das Mädchen mit gesenktem Kopf; seine Stimme war so schwach, dass die leisen Worte kaum zu vernehmen waren.
    »Ja? Erzähl mir – was liegt dir auf dem Herzen?«
    »Sie ist sehr krank.«
    »Deine Mutter ist krank, und du würdest sie gerne wieder gesund sehen – ist das dein Wunsch?«
    Das kleine Mädchen nickte.
    Turms sah wieder auf und wandte sich dem Vater zu, der nun hinter seiner Tochter stand. »Wie lange?«, fragte er.
    »Zwei Tage, mein verehrter König«, antwortete der Mann.
    Turms nickte. Er straffte sich, hob sein Gesicht dem Himmel entgegen und bedeckte es mit seinen Händen. Einen Augenblick lang stand er schweigend da. Dann ließ er wieder die Hände sinken, lächelte und sagte: »Es gibt nichts zu befürchten.« Er streckte die Hand nach der Kleinen aus, nahm ihr Kinn zwischen Zeigefinger und Daumen und hob ihren Kopf an. »Deine Mutter wird bald wieder gesund sein. Diese Krankheit wird vorübergehen. In drei Tagen wird sie wieder zu Kräften gelangen.«
    »Ich danke dir, Herr«, erklärte der Mann, dem die Erleichterung deutlich anzusehen war.
    Turms wandte sich einem der Akolythen zu. »Schick einen der Hofärzte zum Haus dieses Mannes mit einem Trank, der den Schlaf fördert und das Fieber senkt.« Dann drehte er sich wieder zu dem Mann und dem kleinen Mädchen und erklärte: »Geht in Frieden. Den Göttern gefällt es, eurer Bitte stattzugeben.«
    Tief nach vorne gebeugt schritt der Mann rückwärts durch die Menge, wobei er seine Tochter mit sich zog. Während er fortging, dankte er dem König.
    »Wer ist der Nächste?«, fragte Turms.
    Ein Mann, der den kurzen Kittel und die Sandalen eines Tagelöhners trug, trat vor und kniete sich nieder. Er streckte seine Hände nach vorne, in denen er ein schweres Büschel reifer blauroter Weintrauben hielt. »Mein Herr und König, hör mich an. Ich bin in Not.«
    Während Turms einen der Akolythen mit einer Geste anwies, die dargebotene Gabe zu nehmen, erkundigte er sich: »Worin besteht deine Not, mein Freund?«
    »Es geht um Gerechtigkeit, mein König.«
    »Ich höre. Sprich frei und offen!«
    »Ich habe für einen Mann gearbeitet, der versprochen hat, mich jeden Abend nach Beendigung meiner Arbeit zu bezahlen. Zwei Tage habe ich gearbeitet, ohne meinen Lohn zu erhalten, und gestern Abend hat er mich entlassen. Als ich mich darüber beschwert habe, dass ich nicht bezahlt worden bin, hat er seine Hunde auf mich gehetzt. Sie haben meine Kleidung zerrissen.« Er zeigte auf eine zerfetzte Stelle am Saum seines einfachen Gewandes. »Ich möchte die versprochene Entlohnung bekommen.«
    Turms blickte auf den Mann hinab, der immer noch nicht seinen Kopf erhoben hatte. »Welchen Grund für deine Entlassung hat dein Arbeitgeber angegeben«, verlangte er zu wissen.
    »Keinen einzigen, mein König.«
    »Hatte er einen Grund, dich ohne Bezahlung fortzuschicken?«, erkundigte sich der Priesterkönig mit sanfter Stimme. »Wegen Diebstahls vielleicht oder wegen Trunkenheit? Oder wegen Faulheit?«
    »Mein König, ich bin ein redlicher Mann«, erwiderte der Bittsteller, der sich trotz der Andeutung, er könnte in irgendeiner Form selbst schuld an seinen Schwierigkeiten sein, in der Gewalt hatte. »Und ich verrichte mein Tagewerk auf redliche Weise. Ich habe meine Entlohnung verdient. Doch nun bin ich hungrig, und auch meine Kinder sind es.«
    »Wie viel schuldet man dir?«
    »Fünfundzwanzig Denare«, antwortete der Mann rasch. Einen Augenblick lang schaute Turms dem Bittsteller in die Augen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher