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Das Knochenhaus

Das Knochenhaus

Titel: Das Knochenhaus
Autoren: Stephen Lawhead
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ihm, dass er seinem Ziel einfach nicht näher kam, wenngleich er wie ein ausdauernder Esel kontinuierlich voranschritt.
    Während sich am westlichen Himmel die Sonne weiter und weiter nach unten senkte, beobachtete Kit, wie sich sein Schatten vor ihm immer mehr über die felsige Einöde ausdehnte. Schließlich war er völlig hypnotisiert von der sich stets verlängernden dunklen Silhouette. Er kam erst wieder zu Verstand, als ein Chor lautstark bellender Hunde seine Ankunft in einem Dorf ankündigte, das am Flussufer lag.

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DRITTES KAPITEL

    T urms der Unsterbliche öffnete seine Augen am achttausendeinunddreißigsten Tag seiner Herrschaft. Nachdem er sich von seinem vergoldeten Bett erhoben hatte, badete er in dem heiligen Becken neben der Tür. Seine Lippen bewegten sich zu einem lautlosen Gebet, während er parfümiertes Wasser über sein Gesicht und seine Gliedmaßen goss. Als er seine rituellen Waschungen beendet hatte, trocknete er sich mit sauberen Leinentüchern und zog sein purpurfarbenes Gewand an. Ein Hausdiener erschien mit seiner goldenen Schärpe und seinem großen Zeremonienhut. Dem Diener erlaubte Turms, ihm die Schärpe anzulegen. Dann setzte er sich den Hut auf und machte sich auf den Weg nach draußen, um die Menschenmenge zu begrüßen. Sie hatte sich mit Geschenken und Opfergaben versammelt, um sein Urteil und seinen Segen zu empfangen. Er schritt durch die mit Marmor ausgelegten Räume seines Hauses auf die Säulenhalle zu und trat über die Schwelle. Dann ging er an den heiligen blauen Säulen vorbei und stieg rasch die drei sauber gefegten Stufen aus Travertin hinab.
    Als er auf den Pfad trat, fiel sein Blick zufällig auf einen kleinen schwarzen Kiesel, der genau in der Mitte des Weges lag: auf einen Stein, der vom vielen Wasser ganz glatt und rund geschliffen worden war – eine fast perfekte Kugel. Neben dem Kieselstein waren drei lange Nadeln. Sie mussten von den in der Nähe stehenden Kiefern auf den Boden gefallen sein; und die drei lagen so, dass sie zusammen einen Pfeil formten.
    Der Priesterkönig der Velathri hielt inne, um über dieses kleine Wunder nachzudenken. Er wusste, dass der Kiesel von der wenige Meilen entfernten Meeresküste gekommen war. Ein Vogel – vielleicht eine Möwe – hatte das Steinchen aufgepickt, war dann landeinwärts geflogen und hatte es vor seiner Tür fallen lassen. Der Pfeil aus grünen Nadeln lenkte seine Aufmerksamkeit nach Westen.
    Es war ein Omen – ein Zeichen für ihn aus der jenseitigen Welt. Seine Bedeutung wurde ihm deutlich, als er auf die einfache Schönheit des Kieselsteins starrte, denn Turms vermochte alle Arten von Omen zu verstehen. Und die Bedeutung dieses Zeichens war folgende: Er würde bald einen Besucher empfangen – einen Gast, der über das Meer aus dem Westen kam. Es war also ein ausländischer Besucher, und er, Turms, würde gut daran tun, die Freundschaft dieses Gastes anzunehmen.
    Turms hob den Kiesel auf, schloss die Faust um ihn und dankte den Göttern, dass sie seine lange Herrschaft fortwährend segneten. Dieser kleine Stein würde zu all den anderen im Gefäß seiner Tage hinzugefügt werden.
    Er verstaute den Omen-Stein im weiten Ärmel seines Gewandes und schritt weiter die lange, schräge Rampe des künstlichen Hügels hinab, auf dem das königliche Haus errichtet worden war. Langsam spazierte er den von Zypressen gesäumten Weg entlang und fand Gefallen an dem beißenden Duft der großen Bäume. Das frühmorgendliche Sonnenlicht vertiefte die Farbe des Erdbodens zu einem satten Rostrot, das auf angenehme Weise mit dem leuchtenden Blau des Himmels kontrastierte. Unten am Fuß der Rampe warteten seine Diener und Akolythen: zwei Priesterlehrlinge und vier Tempeldiener. Letztere trugen Stangen, die an den vier Ecken eines orangefarbenen Tuches befestigt waren – des Baldachins, unter dem der Priesterkönig seine getreuen Untertanen empfangen würde. Kurz bevor der König eintraf, streckten die Diener den Baldachin aus; und anschließend nahm Turms seinen Platz vor der kleinen Ansammlung von Menschen ein.
    Er drückte die Handflächen gegeneinander, hob seine Arme über die Köpfe der Leute und sprach: »Mögen die Segnungen dieses Tages im Übermaße euer sein!«
    Dann grüßte er sie und erklärte: »Es beglückt mich, an diesem äußerst verheißungsvollen Morgen eure Geschenke zu empfangen. Tretet näher zu mir, denn dies ist die geziemende Stunde. Wer wird der Erste sein?« Er senkte seine Hände, schaute sich
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