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Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Titel: Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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mit der Wimper zu zucken einsteckte. Während die Sargträger Abel langsam in das ausgehobene Grab hinunterließen, legte sie den Kopf zurück und schlief ein.
    Utz senkte den Blick und faltete die Hände. Der Pfarrer trat an das Grab und räusperte sich. Der letzte Akt am Ende eines langen Lebens hatte begonnen.

2
    »Und, wie war’s?«
    Jeder, der in die Kanzlei wollte, musste an Connie vorbei. Sie hatte das Büro im ersten Stock gleich links neben der Tür. Heute trug sie eine pinkfarbene Escada-Jacke, die sie für acht Euro bei ebay ersteigert hatte.
    »Wie Beerdigungen so sind«, antwortete ich. Ich mochte Connie.
    Sie wusste das und vertiefte instinktiv ihr Lächeln. Es war ihr ganz persönlicher Reflex. Junggeselle, heiratsfähig, obere Gehaltsklasse.
    »Ich war noch nie auf einer«, sagte sie. »Ich meine, es ist noch nie jemand gestorben, den ich kannte.«
    »Doch. Abel von Lehnsfeld.«
    »Den kannte ich nicht. Nicht richtig, meine ich. Außerdem war er alt.«
    Selektives Wahrnehmungsvermögen. Ich beugte mich über ihren Schreibtisch und tippte auf ihren Terminkalender. »Denk an die Testamentseröffnung. Morgen, fünfzehn Uhr.«
    »Kommt Aaron auch?«

    Junggeselle, heiratsfähig, oberste Gehaltsklasse, vor allem nach dem Ableben des Großvaters. »Ich habe extra seine Lieblingskekse besorgt. Schokocremewaffeln. Magst du probieren?«
    Sie zog die Schublade auf, in der sie ein halbes Dutzend Packungen gehortet hatte. Vermutlich alle in der Hoffnung, Aaron eines Tages damit zu füttern.
    »Nein danke«, sagte ich. »Post? Anrufe?«
    Sie stand auf und drückte sich mit wiegenden Hüften etwas zu nahe an mir vorbei. »Post, ja, Anrufe, nur einer. Von deiner Mutter. Sie will wissen, was mit Reinickendorf ist.«
    Ich hatte keine Zeit, um mich jetzt mit meiner Mutter und ihrem Problem, nach Reinickendorf zu kommen, auseinanderzusetzen. Früher, als meine Kanzlei noch in einer Kreuzberger Einzimmerwohnung war und ich sehr, sehr wenig zu tun hatte, war das kein Problem gewesen. Jetzt hatte ich sehr, sehr viel Arbeit. Ich arbeitete dermaßen viel, dass ein Nachmittag beim Bridge unter Jahresurlaub lief und mehr als eine Beerdigung pro Quartal nicht drin war. Aber das verstand meine Mutter nicht.
    Auf dem Weg zu meinem Büro nickte ich Hogersand, Versicherungen und Offshore-Trusts, und Meinerz, Verbindungsmann zu Londoner Steuerberatungskanzleien, zu. Sie waren zwanzig Jahre älter als ich, strebsam, klug, in ihren Äußerungen zurückhaltend und genau die Mischung aus Vaterfigur und Gentleman-Verbrecher, die ich mir für ein Vermögen ab zehn Millionen aufwärts wünschen würde.
    Harry Baumgarten kam mir entgegen. Er hatte die Stirn in Falten gelegt und sah erst auf, als er kurz davor war, mit mir zusammenzustoßen.
    »Wie war’s?«, fragte er hastig. Bei Harry musste alles schnell gehen. Die Gespräche, die Prozesse, die Karriere.
    »Wie Beerdigungen so sind«, erwiderte ich.
    Harry nickte schnell. »Die Testamentseröffnung. Du bist morgen dabei.« Er kniff die Lippen zusammen. Ich war ein Pflock,
den das Schicksal vor seinen Füßen in die Erde gerammt hatte. Ohne mich säße er morgen dabei. Ohne mich wäre er vielleicht in ein paar Jahren Partner von Utz, statt in eine freudlose Zukunft als unentbehrliche rechte Hand zu starren. Ich vermutete, dass Harry nicht mehr lange bei uns bleiben würde.
    »Tja, dann komm mal mit in mein Büro. Warum soll ich die ganze Arbeit alleine erledigen?«
    Er lief voraus und riss die Tür zu seinem Arbeitszimmer auf. Ich folgte ihm. Es war ähnlich geschnitten wie die anderen Räume im ersten Stock: quadratisch, holzgetäfelt, mit einem wunderschönen Ölbild an der Wand hinter dem Schreibtisch, die hervorragende Kopie eines impressionistischen Seerosenteiches.
    Harry legte einige Handakten auf einen Stapel und reichte sie mir. »Lass Georg Kopien machen, und schließ sie ein. Sind ein paar heikle Sachen dabei.«
    »Heikel?«, fragte ich.
    Er legte mir ungerührt eine weitere Akte dazu. »Lehnsfeld ist immer heikel.«
    Das Telefon klingelte. Harry hob ab und reichte mir mit einem säuerlichen Lächeln den Hörer. Es war Connie.
    »Kannst du mal kommen?«, fragte sie. »Es steht schon wieder jemand im Garten.«
     
    Immer wieder verirrten sich Touristen und Neugierige in den Garten. Die Zernikow’sche Villa war eine der wenigen, die die Modernisierungswut der siebziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts unbeschadet überlebt hatten.
    1896 als eines der ersten großen Anwesen
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