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Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Titel: Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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in die Hölle, aus der es kam, aber nicht hierher, nicht hierher, Herr. Herr, wende dich uns doch endlich zu. Hab Mitleid mit allen Knechten!
    »Hör doch auf mit dem Beten! Wenn nicht bald was passiert, wird es in diesem Jahr für uns wieder zu spät sein.«
    Zu spät für den Frieden, von Sieg redet keiner mehr. Nur der Junge glaubt noch daran. Kinder und Verrückte.
    »Wir müssen Luft bekommen, um im Osten wieder stärker einzugreifen.«
    »Ja,ja.«

    »Und endlich die Vergeltungswaffen einsetzen. Mit der Invasion wird alles anders. Erst lassen wir sie rein, und dann …« Er fährt mit dem Zeigefinger über seine Kehle. Ihre Hand schnellt vor und hält ihn fest.
    »Nicht«, sagt sie.
    Der Bäcker am Roseneck hat seine Uk-Stellung verloren und muss die Uniform noch einmal anziehen. Im Weltkrieg ist er verwundet worden, und dazu ist er noch Jahrgang 84. »Die nehmen mich doch nicht mehr«, hatte er gesagt.
    Jetzt ist er auf der Krim. Seine Frau hat es ihr erzählt. Eine robuste, zuversichtliche Frau. Sie hat sich heimlich mit der Schürze die Augen ausgewischt. Sind denn alle taub und blind?
    Die Russen stehen schon in Rumänien, im Generalgouvernement und vor Ungarn und der Slowakei. Man muss nur den Wehrmachtsbericht hören, dann kann man sich denken, wie das alles enden wird. Noch vor einer halben Stunde haben sie gemeldet, das Reichsgebiet sei feindfrei. Und jetzt das.
    »Dieses Mal kommen sie von Potsdam«, flüstert er.
    Die Luft beginnt zu vibrieren.
    Hoffentlich hat Olga dort einen Graben. Olga ist so zart und dünn, und sie hat doch ihrer Mutter versprochen, auf sie aufzupassen, Olga ist doch ein halbes Jahr jünger, ein Kind fast noch, Olga, die jetzt einen ganzen Hof versorgt, das schafft sie doch gar nicht. Aber er soll nett sein, ihr Bauer. Und eine Kirche haben sie da auch. Nur evangelisch, aber sie darf zum Gottesdienst.
    »Die kommen hierher!«
    Herr, du warst unsere Zuflucht, von Geschlecht zu Geschlecht. Von Jahr zu Jahr säst du die Menschen aus, sie gleichen dem sprossenden Gras. Am Morgen grünt es und blüht, am Abend wird es geschnitten wie Gras …
    »Hör auf! Hör auf!«
    Er reißt ihre betenden Hände auseinander und zieht die Pappe vom Fenster weg. Sofort bläst sie die Kerze aus. Tanzende Lichter
senken sich aus dem tiefschwarzen Himmel herab und beleuchten den Garten wie ein stilles Feuerwerk. Weihnachtsbäume.
    »Ist das schön!«
    Er schaut verträumt durch das schuhkartongroße Fenster nach oben, wo das Verderben in den leuchtendsten Farben direkt auf sie zukommt. Das Dröhnen wird immer lauter, bis sie auftauchen wie riesige schwarze Hornissen.
    Er weicht zurück. Dann öffnet er den Mund und will etwas sagen. In diesem Moment zerreißt ihr die Detonation fast das Trommelfell. Die Wände zittern und neigen sich auf sie zu. Staub und Putzbrocken regnen auf sie nieder.
    »Raus!«, brüllt sie und kann sich selbst kaum hören. In fliegender Hast klettert sie aus dem Bett, springt hinunter in die Küche und hilft ihm, ihr zu folgen. Sie spürt die Scherben unter ihren Füßen und rennt zum Fenster, das kein Glas mehr hat. Sie beugt sich hinaus und sieht auf die Straße. Durch den dichten Staub erkennt sie den Widerschein eines Feuers. Zwei Häuser weiter muss es sein, oben auf der Ecke.
    Wieder beginnt der Boden zu vibrieren.
    »Es werden immer mehr!«, schreit er.
    Sie nimmt seine Hand und hastet den Flur entlang. Das Haus scheint unversehrt, nur die Scheiben sind alle zu Bruch gegangen.
    Der nächste Flieger ist so tief, dass er fast das Dach streift. Vielleicht stürzt er ab, genau hier, und verwandelt alles in eine Flammenhölle.
    Sie rennen in das riesige Treppenhaus und jagen die Stufen hinunter, bis sie vor der Kellertür stehen. Sie ist abgeschlossen. Es heult. Ein grauenhafter Ton, etwas so Fürchterliches hat sie noch nie gehört. Als ob im Himmel die Hölle los sei. Es wird lauter und lauter, sie hält den zitternden Jungen fest an sich gepresst und duckt sich, macht sich so klein wie möglich, noch kleiner, fast unsichtbar, dann kommen der unglaubliche Schlag und die Druckwelle.

    Das Haus ächzt und jammert in allen Fugen, aber es hält. Es ist ein gutes Haus, kräftig und solide. Es kann einiges aushalten. Aber nicht genug, wenn der nächste Einschlag es trifft.
    »Wir dürfen da nicht rein«, sagt der Junge und klappert mit den Zähnen. Er kauert auf dem Boden. Die Angst übermalt sein Kindergesicht mit Blässe. Die Augen hat er aufgerissen, sie kennt den Blick, er ist
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