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Das Jahr der Kraniche - Roman

Das Jahr der Kraniche - Roman

Titel: Das Jahr der Kraniche - Roman
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Schwarm riesiger Vögel hatte sich vor die Sonne geschoben und überflog gerade in einer eleganten Runde den See, an dessen Ufer Jan und Laura parkten. Als eine große dunkle Fläche spiegelte sich der Schwarm im klaren Wasser, bevor ein Vogel nach dem anderen zur Landung auf der kleinen Insel ansetzte, die auf der ruhigen Wasserfläche zu schwimmen schien.
    »Du weißt schon, dass man Kraniche von alters her auch Glücksvögel nennt?«
    Jans Blick war den Kranichen gefolgt. Die großen, schwarzgrauen Vögel, deren Flugfedern sich zu einem buschigen Schwanz formierten, der wie ein Spitzenschleier fast kokett bei jedem ihrer Schritte wippte, wurden immer mehr. Fast schien es, als bebte die kleine Insel, die sie sich als sicheren Schlafplatz auserkoren hatten, unter ihren lauten Trompetenschreien. Laura hielt den Atem an. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Natürlich wusste sie, dass es Kraniche gab. Auch, dass sie sich im Norden Deutschlands sammelten, wenn sie auf ihren langen Flügen in den Süden, wo sie den Winter verbrachten, oder in den Norden, wo sie sich im Sommer paarten und ihre Jungen aufzogen, Rast machten. Doch gesehen hatte sie so etwas noch nie.
    »Glücksvögel?«
    Sie konnte den Blick nicht von dem Schauspiel wenden. Jetzt, da sie alle auf der Insel gelandet waren, hörte das Rauschen auf, das sie gerade eben noch so irritiert hatte. Die Sonne schien wieder, als wäre nichts passiert. Trotzdem fühlte Laura noch die Kälte, die in ihr aufgestiegen war. Sie rieb sich die Arme, um wieder warm zu werden.
    »Eigentlich sollten sie schon lange auf dem Weg nach Skandinavien sein. Aber in den letzten Jahren sind immer mehr von ihnen einfach hier geblieben.«
    »Vielleicht wollten sie einfach auf uns warten, deine Glücksvögel. Um uns zu gratulieren.«
    Sie zwang sich zu einem kleinen Lachen und versuchte, dieses schale Gefühl von Unbehagen, das sie immer noch in seinem Griff hielt, zu verdrängen. Jan zog sie enger an sich. Erleichtert stellte sie fest, dass er nicht mitbekommen hatte, wie sehr sie sich erschreckt hatte.
    »Du bist wirklich eine Romantikerin. Aber natürlich hast du recht. Die Kraniche sind nichts anderes als die Krönung dieses wunderbaren Tages.«
    In Jans Armen löste sich Lauras Starre. Sie ergab sich der Faszination, die die Vögel in ihr auslösten. Wie anmutig sie trotz ihrer Größe waren! Einige der Vögel bogen den Hals auf den Rücken und streckten klappernd ihre Schnäbel in die Luft.
    »Sie fangen schon mit dem Balztanz an. Sie haben es eilig, denn der Sommer ist kurz. Sie müssen ihre Jungen rechtzeitig bekommen, bevor sie sich dann wieder auf den Weg in den Süden machen.«
    Laura lauschte Jans Erklärungen, doch ihre Gedanken machten sich auf eigene Wege. Sie hatte sich nie sonderlich für die Natur interessiert. Blumen fand sie hübsch, klar. Und Bäume, wenn sie blühten oder im Herbst mit ihren bunten Blättern prahlten. Aber so weit, dass sie sich für Namen interessiert hätte, war es nie gegangen. Und die Fauna– wenn sie mal von Haustieren, allem voran ihrem heiß geliebten Kaninchen Egon, das sie als Kind gehabt hatte, absah– war ihr eher egal gewesen. Im Gegenteil, morgendliches Vogelgezwitscher im Frühjahr hatte sie schon immer als störend empfunden, und was da so kreuchte und fleuchte oder schwamm oder flog, war ihr eigentlich immer nur dann nahe gewesen, wenn es sich als Steak oder Fischfilet auf ihrem Teller wiedergefunden hatte.
    Und jetzt fand sie, die sich selbst immer nur als Stadtpflanze betrachtet hatte, sich an der Seite ihres Mannes auf dem Weg zu einem Haus, das, wie er ihr erzählt hatte, ein paar Kilometer vom nächsten Ort entfernt lag, mitten in der Pampa.
    »Du willst aufs Land ziehen?«
    Ihre Mutter hatte sich ziemlich gewundert, als Laura ihr mitgeteilt hatte, dass sie München verlassen und mit Jan in die Uckermark gehen würde. Ja, sicher, Fuchs und Hase sagten sich dort Gute Nacht, wo Jans Familie seit Generationen lebte. Sie hatte ihm gestehen müssen, dass sie keine Ahnung hatte, wo dieser Landstrich lang, aus dem er kam. Irgendwo im Osten. So viel hatte sie gewusst. Aber nicht, wie es dort aussah. Und noch viel weniger, was für ein Leben sie dort erwarten würde.
    »Und du hast keine Angst, dass es dir da langweilig werden könnte?«
    Karin Nordmeyer hatte in dem Moment, in dem sie ihrer Tochter diese Frage gestellt hatte, auch schon gewusst, wie die Antwort lauten würde. Seit Laura Jan begegnet war, war sie wie ausgewechselt.
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