Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Jahr der Kraniche - Roman

Das Jahr der Kraniche - Roman

Titel: Das Jahr der Kraniche - Roman
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
Vom Netzwerk:
ihr heraus.
    »Komm schon, Laura, atme. Jetzt atme doch endlich!«
    Sie fühlte seine Lippen auf ihrer Nase. Luft füllte ihre Lungen.
    »Du sollst atmen, verdammt!«
    Wieso schrie er sie so an? Sie versuchte es doch. Sie tat doch alles, was sie konnte.
    Es durfte nicht sein, dass er zu spät gekommen war. Jan drückte Lauras Brust. Er presste ihr Luft in die Nase, bearbeitete wieder ihre Brust. Sie durfte nicht sterben. Sie durfte ihn nicht verlassen.
    Laura spürte den Moment, als ihr Herz wieder anfing zu schlagen, wie einen Hammerschlag. Automatisch tat sie einen tiefen Atemzug. Wieder kam Luft in ihre Lungen, jetzt endlich durch ihre eigene Atemtätigkeit. Es war, als würde plötzlich alles hell um sie. Sie schlug die Augen auf.
    »O Gott, da bist du ja wieder. Atme, Laura, du lebst! Es ist alles gut.«
    Jans Tränen tropften warm auf ihr Gesicht. Er riss sie an sich, hielt sie fest. Sie spürte den rasenden Schlag seines Herzens. Sie war am Leben.
    Shadow hatte sie gefunden. Er hatte wie verrückt angefangen zu bellen. Jan hatte sich durch die Nässe gekämpft. Da irgendwo im Dickicht mussten sie sein. Er merkte nicht, wie die Äste in sein Gesicht schlugen, spürte den Schmerz nicht, als sein Fuß umknickte, als er über eine Wurzel stolperte. Da! Da bewegte sich etwas. Das Bellen des Hundes überschlug sich. Jan sah Elke, sah sie über Laura knien, während sie Lauras Kopf unter Wasser drückte. Mit einem gewaltigen Schlag setzte er Elke außer Gefecht. Es kümmerte ihn nicht, dass sie mit dem Kopf gegen einen Baum krachte und in sich zusammensank. Sein einziger Gedanke war, dass er Laura gefunden hatte. Und dass er vielleicht zu spät gekommen war.
    »Was ist mit Elke?«
    Lauras Stimme war heiser, das Sprechen kostete sie Mühe.
    Jan sah sich nach Elke um. Sie war nicht mehr da. Er richtete sich auf. Jetzt sah er sie, wie sie im Dämmerlicht davonstolperte. Es dauerte nicht lange, da war sie nicht mehr zu sehen. Der Moorwald hatte sie verschlungen.

3
    Es war nichts mehr so, wie es gewesen war. Die Polizei hatte Elke ein paar Tage später gefunden, ertrunken in einem Moorsee. Hanno, der, als er aus dem Krankenhaus entlassen worden war, keinen Menschen sehen wollte und sich in seiner Hütte eingeschlossen hatte, war, als er die Nachricht von Elkes Tod bekam, zusammengebrochen. Er gab der Polizei den Hinweis, wo sie Julias Leiche finden konnten. Er gestand, dass seine Tochter ihn gerufen hatte, nachdem sie Julia Landau in ihrem Zimmer mit einem Kerzenständer erschlagen hatte. Er hatte ihr geholfen, die Leiche ins Moor zu bringen. Elke war doch seine Tochter. Er liebte sie mehr als sein Leben. Er konnte nicht zulassen, dass sie ins Gefängnis kam. Dafür hatte er einen Mord gedeckt– und war seines Lebens nicht mehr froh geworden. Als er sein Geständnis abgelegt hatte, setzte sein Herz aus, doch er wurde gerettet. Er würde sich seiner Schuld nicht entziehen können. Er wurde verhaftet und wartete nun in der Untersuchungshaft auf seinen Prozess.
    Jan war fassungslos. Der Mann, dem er sein Leben lang vertraut hatte, hatte ihn hintergangen. Er hatte seine Verzweiflung gesehen, als Julia verschwunden war, er hatte den Schmerz erlebt, in dem Jan versunken war, aber nichts getan, um ihm zu helfen. Am Ende war ihm seine Tochter wichtiger gewesen als Jan.
    »Sie war sein Ein und Alles, Jan. Er konnte sie nicht verraten.«
    Laura schmerzte es, ihren Mann so verzweifelt zu sehen.
    »Wer weiß, was wir für unser Kind tun werden, wenn es einmal in Schwierigkeiten ist.«
    Wie durch ein Wunder hatte Lauras Baby alles gesund überstanden. Alle Untersuchungen hatten ergeben, dass es sich vollkommen normal in ihrem Bauch entwickelte. Laura hatte eine neue Ärztin in Templin gefunden, die sie fürsorglich durch die letzten Monate ihrer Schwangerschaft begleitete. Marius war ohne Abschied verschwunden. Seine Praxis wurde verkauft, ebenso wie das Häuschen, in dem er mit Elke sein falsches Leben gelebt hatte. Laura dachte hin und wieder an ihn. Er tat ihr leid. Sicher, es war nicht richtig gewesen, dass er Elke betrogen hatte. Aber was wusste sie schon von der Liebe, die über ihn und Julia hereingebrochen war? Wie sehr musste er gelitten haben, als die Frau, für die er sein ganzes Leben hinter sich lassen wollte, einfach nicht erschienen war? Sein Schmerz musste ebenso groß gewesen sein wie der von Jan. Aber er durfte sich nichts anmerken lassen. Er musste seine Trauer vor allen verbergen, musste sein Leben so
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher