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Das Jahr der Kraniche - Roman

Das Jahr der Kraniche - Roman

Titel: Das Jahr der Kraniche - Roman
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Flughafen gebracht? Marius, du bist völlig verrückt geworden. Das hätte sie mir doch gesagt.«
    »Das hätte sie dir bestimmt gesagt, das glaube ich auch.«
    »Und was hätte sie mir nicht gesagt?« Das Grauen baute sich in ihm auf wie eine schwarze Gewitterwolke. »Was, Marius? Was hätte Elke mir nicht gesagt?«
    Marius konnte ihm nicht antworten. Zu fürchterlich war die Antwort, die ihm einfiel.
    Elke ruderte das Boot ruhig und routiniert zum nördlichen Ufer des Sees. Dort sprang sie ins Wasser und zog das Boot auf den sandigen Strand der kleinen Bucht.
    »Aufwachen! Wach auf, Laura!«
    Sie rüttelte an Lauras Schulter und zerrte sie hoch.
    »Wir machen jetzt eine kleine Wanderung.«
    Laura versuchte, sich mit den Beinen am Mittelsitz festzuhaken, doch Elke hob ihre Beine über den Bootsrand und schubste sie dann ganz aus dem Boot. Sie hatte es jetzt eilig. Am Osthimmel zeigte sich schon ein rötlicher Streifen. In einer Stunde würde es hell sein, und dann würden sie mit der Suche nach Laura beginnen. Sie schob und zerrte ihre Gefangene in den Wald.
    »Du musst mir die Fesseln losmachen, sonst kommen wir nirgendwohin.«
    Elke zögerte. Die kleinen Hüpfschritte, zu denen Laura wegen der Fesseln nur fähig war, verhinderten wirklich ein schnelles Vorankommen.
    »Damit du abhauen kannst, was? Das würde dir so passen. Nein, gib dir gefälligst Mühe.«
    Sie gab Laura einen Stoß in den Rücken, so heftig, dass sie stürzte und mit dem Gesicht gegen einen Baumstumpf stieß. Sie sackte in sich zusammen.
    Einfach liegen bleiben. Nicht mehr aufstehen, liegen bleiben und einfach einschlafen. Es ist doch sowieso alles sinnlos.
    Laura gab auf. Es hatte alles keinen Zweck. Elke würde sie auf jeden Fall töten. Dann konnte sie es gleich hier machen. Wieso sollte sie also nicht einfach hier liegen bleiben und ihr Schicksal annehmen?
    Als das Blut wieder durch ihre Füße zirkulierte, spürte sie einen scharfen Schmerz, der ihr die Tränen in die Augen trieb. Sofort waren ihre Lebensgeister wieder da. Einen Moment noch, bis sie wieder Gefühl in ihren Füßen hatte, dann würde sie losrennen. Sie würde Elke einfach überraschen, sie über den Haufen rennen und dann im Wald verschwinden. Natürlich, Elke kannte den Wald wie ihre Westentasche, aber alles war besser, als wie ein Schaf zur Schlachtbank zu gehen. Sie sammelte ihre Kräfte. Und ihren Mut. Doch bevor sie sich aufrichten konnte, um loszulaufen, spürte sie die Fessel an ihrem rechten Knöchel.
    »Du hast doch nicht wirklich gedacht, dass du einfach abhauen kannst?« Elke zog an dem Strick, den sie um Lauras Knöchel gebunden hatte. »Komm.«
    Sie hatte den Moment verpasst. Stolpernd, immer um ihr Gleichgewicht kämpfend, ging sie vor Elke her, die sie an der Leine hatte wie einen Hund.
    Hanno lag auf dem Boden der Hütte. Er musste ihr nach, musste das Schlimmste verhindern. Sie durfte nicht noch einmal… Seine Gedanken überschlugen sich. Doch jede Bewegung, die er machen wollte, endete in einem grauenvollen Nichts. Seine Glieder gehorchten seinem Willen nicht mehr. So sehr er sich darauf konzentrierte, seine Beine zu bewegen, es tat sich nichts. Sie hatte ihn außer Gefecht gesetzt, seine eigene Tochter. Wenn es ihm nicht gelang, irgendjemanden zu alarmieren, würde sie in ihrem bösen Tun nicht mehr aufzuhalten sein.
    Er hatte ein Monster großgezogen, das nicht davor zurückschreckte zu töten. Er musste sie verfolgen. Er musste sie daran hindern, Laura umzubringen. Allerdings hatte er keine Ahnung, wie lange die Wirkung des muskellähmenden Mittels, das sie ihm gespritzt hatte, anhalten würde.
    Die Sonne war gerade aufgegangen und hatte einen Schleier aus magischem Septemberlicht über das Land gelegt. Jan hatte kein Auge für die Schönheit des anbrechenden Tages. Er rief Polizeiobermeister Kuhn an. Ein Suchtrupp musste zusammengestellt werden, der seine Frau finden sollte.
    »Sie ist also heute Nacht nicht zurückgekommen? Haben Sie denn versucht, sie auf dem Handy zu erreichen? Haben Sie bei Nachbarn und Freunden gefragt, ob sie sie gesehen haben?«
    Der Polizist belehrte Jan freundlich, dass die Polizei eine Fahndung frühestens nach achtundvierzig Stunden einleiten würde. Der Erfahrung nach würden neunzig Prozent der Vermissten nämlich am Tag nach ihrem Verschwinden wieder auftauchen. Außerdem sei Laura volljährig und bei guter Gesundheit. Es konnte doch sein, dass sie sich einfach eine Auszeit genommen hatte oder dass sie Freunde besuchte
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