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Das Jahr der Kraniche - Roman

Das Jahr der Kraniche - Roman

Titel: Das Jahr der Kraniche - Roman
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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passiert war, nachzudenken. Auch wenn es ständig präsent war.
    Anfangs hatte er noch versucht, den Erinnerungen zu entfliehen, hatte sich in seine Arbeit gestürzt, mehr Aufträge angenommen, als ein einzelner Architekt eigentlich schaffen konnte. Er hatte sein Haus verschlossen und sich in die Welt begeben. Aber dabei hatte er die bittere Erfahrung machen müssen, dass es keinen Ort gab, an dem ihm nicht ständig die Erinnerung an das Geschehene präsent geblieben wäre.
    »Sag mir, was du denkst.«
    »Ich denke, was ich für ein glücklicher Mann bin. Und– ich bin ein wenig aufgeregt.«
    Laura kuschelte sich an seine Schulter. Er spürte, wie ein kleines Lachen sie beben ließ. Natürlich war er nervös. Würde sie sich wohl fühlen in seinem Haus? Würde sie sich wohl fühlen in seinem Leben?
    »Du bist aufgeregt? Frag mich mal, was ich bin? Meine Knie zittern wie tausend Lämmerschwänze.«
    Sie legte ihre Hand auf seinen Oberschenkel, der sich fest und warm anfühlte.
    »Was ist, wenn ich doch nicht in dein Leben passe? Vielleicht mag mich dein Haus ja gar nicht. Oder deine Freunde finden mich langweilig. Oder… zu bayerisch.«
    Sie rieb ihre Nase an seinem Arm. Die Wärme ihrer Lippen, als sie einen Kuss darauf drückte, ließ ihn schaudern. Wenn es auf dieser Welt eine Frau gab, von der er sich vorstellen konnte, dass sie zu ihm und in sein Leben passte, dann war sie es. Ihre Jugend, ja auch diese ein wenig naive Entschlossenheit, sich auf ihn einzulassen, die Fröhlichkeit, mit der sie auf die Welt zuging, würden es schaffen, die Schatten, die über seinem Leben hingen, zu vertreiben.
    »Du bist ein Geschenk des Himmels. Nicht mehr und nicht weniger. Und da darf man schon ein wenig nervös sein und sich fragen, ob dir das, was ich dir zu bieten habe, auch gerecht wird.«
    Gott, wie ich ihn liebe.
    »Wenn nicht, werde ich dir einfach davonlaufen. Vielleicht kann ich ja unsere Ehe annullieren lassen, weil du mir etwas vorgemacht hast.«
    Wenn sie gewusst hätte, dass es genau das war, was er fürchtete! Dass sie einfach wieder verschwinden würde und ihn noch einsamer zurückließ, als er es vor ihrer Begegnung gewesen war.
    »Wenn du weglaufen willst, musst du das tun. Ich weiß, dass ich dich nicht werde halten können.«
    Wie düster dieser Satz klang. In dem Moment, in dem er ihn ausgesprochen hatte, bereute ihn Jan schon. Laura schob sich ein wenig von ihm weg. Ihr Blick lag prüfend auf dem Gesicht des Mannes, dessen Ehefrau sie seit einem Tag war. Da war er wieder, der kleine Schatten, den sie schon ein paar Mal gespürt hatte. Sie hatte nicht ausmachen können, was er bedeutete, ihn aber auch sofort wieder vergessen, wenn sie Jans Hände auf ihrem Körper, seine Lippen auf den ihren gespürt hatte.
    Was auch immer dich bedrückt, ich werde es vertreiben, mein geliebter Ehemann.
    »Ich werde nicht weglaufen«, flüsterte sie an seinem Arm. »Es gibt nichts, was mich aus deinem Leben vertreiben kann.«

2
    Das große Haus sah aus, als läge es in einem tiefen Schlaf. Dunkelrote Holzläden bedeckten die Fenster wie schwere Augenlider. Sie verliehen dem zweistöckigen Holzbau mit dem spitzen Giebeldach eine abweisende, hermetische Aura. Eine Kletterrose, deren erste Blättchen gerade zu sprießen angefangen hatten, rankte an der Südseite, die zum See hin gewandt war, bis zum Dach, während an der Eingangsseite glänzender Efeu fast die ganze schwarz getäfelte Fassade bedeckte.
    Hanno Dorfmann öffnete die Fensterläden und ließ Licht in das große Wohnzimmer. Der See schimmerte dunkel zwischen den alten Buchen, die das Grundstück begrenzten.
    »Ich komme nach Hause«, hatte Jan am Telefon gesagt. »Übermorgen bin ich da.«
    Was war passiert, dass Jan sich entschlossen hatte, in das Haus zurückzukehren, das sein Urgroßvater, der Förster gewesen war, gebaut hatte? Nachdenklich schaute Hanno auf den See und gab sich seinen Erinnerungen hin.
    Ein Lachen schwebte durch die Luft.
    »Sieh mal, Hanno. Sieh doch her!«
    Die Stimme des mageren Jungen mit den braunen Locken überschlug sich vor Begeisterung, als er sich mit der Schaukel immer weiter über die glatte Oberfläche des Sees hinausschwang. Hanno konnte förmlich den Kitzel im Bauch des Jungen spüren, den aufgeregten Herzschlag unter dem blauen Sommerhimmel. Noch einmal holte er kräftig Schwung, um sich dann, als die Schaukel sich am Scheitelpunkt befand, mit einem Juchzer in das dunkle Wasser fallen zu lassen. Hanno hatte den Rechen, mit
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