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Das Inselcamp

Das Inselcamp

Titel: Das Inselcamp
Autoren: Martina Steinkuehler
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hielt es, als sei es zerbrechlich.
    »Damals?«, wiederholte er genervt. »Lies mal nach, warum die Leute Jesus folgten«, meinte der Diakon. »Das war so: Sie fragten sich, was er von ihnen wollte.« Das Lamm zappelte. »Hat er das denn nicht gesagt?« Jott blieb stehen und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Doch, aber anscheinend ist das nicht genug«, sagte er eindringlich.
    Als sie in Schafhaus ankamen, begannen die Schafe vorauszulaufen. Sie kannten ihr Zuhause. Die Pforte schwang auf, sobald sie blökend davorstanden. Jott und Pitt folgten.
    Pitt ließ das Lamm fallen, als er sah, wer das Tor geöffnet hatte. »Bist du von allen guten Geistern verlassen?«, fuhr er seinen Bruder an. »Ich glaube nicht«, antwortete Andi, wich aber ein paar Schritte zurück.
    Die kleine Judith, die bei ihm war, wich nicht aus. »Wir wollen was fragen«, sagte sie zu dem Diakon. Sie nahm ihn streng in den Blick. »Werden Sie sich entschuldigen?« »Gewiss«, sagte er ernst. »Gelegentlich bitte ich meinen Herrn um Vergebung.«
    Er lehnte seinen Stab an die Wand neben der Haustür. Innen brannte ein Licht und warf einen hellen Schein in die Nacht. »Ich frage mich nur«, fuhr er bedächtig fort: »Was geht euch das an?«
    Judith bohrte die Hände tief in die Taschen ihres Wintermantels. »Johannas Mutter hat geweint«, sagte sie. »Das kommt mir nicht richtig vor.« »Kommt rein«, befahl der Diakon. »Es sind noch Brot und Suppe da.«
    Im Haus des Diakons gab es keinen Weihnachtsbaum. Er hatte aber die Türrahmen mit Tannengrün umwunden und Schalen mit Äpfeln auf den Fensterbrettern stehen. Auf dem großen Tisch in der Wohnküche war eine Art Sandkasten aufgebaut. In weißem, welligen Sand standen Schafe und Kamele aus Holz.
    »Wo ist die Krippe?«, fragte Judith. Der Diakon sah sie nachdenklich an. »Ich wollte sie dann doch nicht einfach so in die Wüste stellen«, meinte er. »Ich glaube, ich muss zuerst einen Stall bauen.«
    Er stellte vier Keramikschalen auf den Tisch, rund um die Wüste herum. Jede der Schalen war anders verziert, mit Punkten und Strichen und Wellenlinien. Die Muster sahen fremd aus und passten zur Wüste. »Setzt euch«, sagte er und füllte jedem eine Kelle klare Brühe in sein Gefäß. »Was schwimmt denn da?«, fragte Pitt misstrauisch. Er entdeckte allerhand Gemüse und – Rosinen. »Mein Bruder mag keine Rosinen«, sagte er.
    Andi, der seit Pitts Ankunft keinen Ton gesagt hatte, rutschte auf seinem Stuhl hin und her. »Geht schon«, murmelte er. »Ist das indisch?« Da erschien auf dem Gesicht des Diakons zum ersten Mal, solange sie ihn kannten, ein breites, fröhliches Grinsen. »Israelisch«, sagte er. Er probierte und fügte hinzu: »Hoffe ich wenigstens.«

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
    Ostern
    Das alte Jahr ging zu Ende, das neue begann, und als es bereits auf Ostern zuging, sprach man in Weihbach noch immer von dem Heiligabend, an dem ein Weihnachtsmann platzte und Schafe in der Kirche Heu fraßen. Ein Satz, den Diakon Jakobsen gesagt hatte, ging von Mund zu Mund: »Das macht mir Hoffnung auf Ostern.«
    Die zwölf hatten weiterhin regelmäßig Papierstreifen mit griechischen Buchstaben erhalten, Woche für Woche einen neuen, messerscharfen Spruch, und sie trafen sich wie von selbst jeden Dienstag im Gemeindehaus und rätselten über den Sinn.
    In der Karwoche strichen immer wieder Leute verstohlen um die Kirche, um herauszufinden, ob es erneut eine Ein- oder Ausladung geben würde. Aber der Ostergottesdienst wurde ganz normalangekündigt und darunter stand der Name eines der beiden zuständigen Pastoren.
    »Jakobsen hat frei«, meinte Simones Mutter. Johannas Mutter lächelte sie erleichtert an. »Wenn da der Propst nicht nachgeholfen hat …« Zwei Mütter vom Berg traten dazu und schlossen sich ihrer Meinung an. »So etwas wie an Heiligabend darf nie wieder passieren«, sagte eine. Aber Simones Mutter wirkte nachdenklich. »Ich weiß nicht«, gestand sie schließlich. »Irgendwie bin ich … beinahe … enttäuscht.«
    Am Karfreitag hing ein neuer Zettel unter der Gottesdienstankündigung für den Ostersonntag. »Fünf vor zwölf«, stand da in schwer lesbaren Lettern. »Es geht um Tod und Leben. Die Tür wird offen sein.« Darunter war das Datum der Osternacht angegeben.
    Um zehn vor zwölf in der Osternacht standen mehr Weihbacher vor der geschlossenen Kirchentür, als jemals zu Ostern Einlass begehrt hatten. Die Konfirmanden des vergangenen Jahres waren ebenso gekommen wie die
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