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Das Inselcamp

Das Inselcamp

Titel: Das Inselcamp
Autoren: Martina Steinkuehler
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mit seiner langweiligen Stimme.
    Er trieb die Tiere nach vorn. Vor dem aufgeblasenen Weihnachtsmann scheuten sie. Er scheuchte sie in die Seitenkapelle und kippte den Inhalt seines Sacks auf den Steinboden. Es war, wie alle sehen und riechen konnten, Heu. Dann trat er vor den Altar, betete kurz und setzte sich auf die Stufen zu Füßen des aufgeblasenen Weihnachtsmanns.
    »Tja«, sagte er. »Das ist ein Wunder.« Er räusperte sich und nahm die Gemeinde in den Blick: »Sagen Sie mal: Was wollen Sie hier?« Johannas Mutter stand noch immer im Mittelgang. Sie warf einen hilflosen Blick zurück in die voll besetzte Bank, aus der sie gekommen war. »Lasst die Toten ihre Toten begraben!«, rief die Stimme hinter dem Altar.
    »Ich könnte die Weihnachtsgeschichte erzählen«, meinte Diakon Jott. »Ich glaube, ich kann sie auswendig.« Er hielt inne und lauschte in sich hinein. »Es begab sich aber zu der Zeit …«, half eine ältere Frau ein, »dass ein Gebot …«, fuhr eine andere von weiter hinten fort. »… von dem Kaiser Augustus ausging …« Das kam wieder aus einer anderen Ecke. »… dass alle Welt geschätzt würde.«
    »Was soll das eigentlich?«, fragte die Stimme hinter dem Altar. »Warum wollt ihr das hören? Dieser Augustus ist längst tot. Und verzählt hat er sich auch.«
    »Er war ein großer Kaiser«, behauptete eine zweite Stimme hinter dem Altar. »Den hatten wir schon in Geschichte. Ein großer Kaiser, echt.« »Der ist längst tot«, beharrte die erste Stimme. »Und Größe … – weißt du, was Größe ist?« Auf einmal huschte eine dunkle Gestalt durch den Altarraum. Sie trat vor den aufgeblasenen Weihnachtsmann hin und hob den Arm. »Heiße Luft!«, rief sie.
    Etwas wie ein Schwert blitzte kurz. Dann knallte es. Es klang wie ein Schuss. Die Plastikhülle platzte, dass die Fetzen flogen. Mit dem Weihnachtsmann war es aus.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
    Ihr Kinderlein, kommet
    Diakon Jakobsen war langsam, wie es seine Art war, aufgestanden und betrachtete die Bescherung. »Hier liegt noch der Dreck von der Krabbelgruppe«, sagte er dann und bückte sich. Er hob ein weißes Päckchen auf, das hinter dem zerstörten Weihnachtsmann zum Vorschein gekommen war. Mit spitzen Fingern hielt er es und ging damit an den Bankreihen entlang. »Sehen Sie«, sagte er immer wieder und: »Riechen Sie.« Allmählich wurde es auch dem Letzten klar, dass es sich um eine Windel handelte – und sie war benutzt worden, für ein großes Geschäft.
    »Und das habt zum Zeichen«, sagte Pitts Vater plötzlich laut. »Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.« Diakon Jakobsen blieb mitten in seiner Kirche stehen. »Ja«, sagte er. »Gut.« Er legte die Windel Simones Mutter in den Schoß. Ihre Haltung wurde steifer. Aber sie rührte sich nicht.
    »Da haben wir wohl tatsächlich was begriffen«, meinte Diakon Jakobsen langsam. »Wir alle. Das ist mehr, als ich erwarten konnte«, fügte er hinzu und zum ersten Mal klang seine Stimme bewegt – ein wenig, vielleicht. »Das macht mir Hoffnung auf Ostern«, sagte er. Er wandte sich um und ging zu seinen Schafen. »Nehmen Sie beim Rausgehen gern ein Stück Brot und eine Schale Suppe«, sagte er. »Sie finden beides im Turmraum. Ich habe gebacken und gekocht.«

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
    Nachfolgen
    Langsam, wie es seine Art war, zog der Hirt sich zurück auf seinen Berg. Es war kalt und sternenklar, eine Nacht, wie sie im Buch stand. In dem Buch. Allerdings war seit dem dritten Advent kein Schnee mehr gefallen. Aber von Schnee war in dem Buch auch nicht die Rede. Der Schnee kam bloß in Liedern und auf Glückwunschkarten vor.
    Das kleinste Schaf trug er auf dem Arm. Es zitterte, und zugleich wärmte es ihn. Die anderen Schafe trotteten blökend hinter ihm her. »Du könntest auch neben mir gehen«, sagte der Hirt nach einer Weile in die Dunkelheit.
    Ein überraschter Ausruf erklang. Mit wenigen schnellen Schritten schloss ein Junge auf. »Muss ich mich entschuldigen?«, fragte Pitt, teils herausfordernd, teils unsicher. Der Diakon nickte langsam. »Das ist eine Frage, die man sich ab und zu stellen sollte«, meinte er.
    Sie gingen eine Weile nebeneinander hin. »Musst du nicht nach Hause?«, fragte Jott. »Nicht, bevor ich weiß, was Sie wirklichvon uns wollen.« Der Diakon drückte ihm das Schaf in die Arme. »Ja«, sagte er, »so hat es damals auch angefangen.« Pitt wusste nicht, was er mit dem wolligen Tier anfangen sollte. Er
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